Heute gibt es etwas zu hören, denn es wird musikalisch! Gesang und Unterhaltungsmusik spielten auf den Almen wichtige Rollen, doch in diesem Beitrag befassen wir uns mit der Kommunikation auf der Alm: Wie verständigten sich Menschen auf den Almen früher über weite Distanzen miteinander? Wozu sind Kuhglocken da? Was ist der Unterschied zwischen einem Jodler und einem Juchzer? Worin liegt die Tradition des Jodelns begründet und in welchen Ländern gibt es ähnliche Kommunikationsformen? Diesen und vielen anderen Fragen wollen wir im siebten Beitrag von Land der Almen nachgehen.
Viele kleinere Almen und Schwaigen waren oft nur von einer Sennerin oder einem Senn besetzt, so dass diese die meiste Zeit über allein waren. Wie schon im Beitrag "Land der Almen IV" ausgeführt, gab es auf den Almen sehr wohl ein soziales Leben, doch dies beschränkte sich weitgehend auf Wochenenden und Feiertage. Über längere Zeiträume hinweg waren die Almleute auf sich gestellt, daher ist es naheliegend, dass sie Formen der Kommunikation entwickelten, mit denen sie sich über die weiten Distanzen hinwegsetzen konnten. Auch für die Tiere war Sorge und Obhut zu tragen, und wenn eines verloren ging, musste es auch wieder gefunden werden. Das ging viel leichter vonstatten, wenn das Tier etwa ein Glocke trug. Zieht ein Unwetter auf, neigen besonders Rinder dazu, sich instinktiv hinzulegen und an Ort und Stelle zu verharren – und das oft schon vormittags, wenn weit und breit noch keine Wolke zu sehen ist. Dann sind die Tiere oft kilometerweit entfernt und müssen bei drohender Gefahr rechtzeitig in den Stall gebracht und folglich auch herbeigerufen werden. Auch abends zum Melken wurden die Kühe, Schafe und Ziegen heimgerufen. Dazu dienten spezielle Lockrufe. Welche Mittel der Verständigung auf den Almen verwendet wurden, ist Gegenstand dieses Beitrags.
Die Verständigung zwischen den Almleuten unter sich und mit den Tieren
Eine Alm an sich war ein in sich geschlossener Mikrolebens- und Wirtschaftsraum, ähnlich einem kleinen und abgelegenen Einzelhof in den Niederungen. Doch wie auch die Bewohner der Höfe untereinander einen regelmäßigen Austausch pflegten, war dies auch auf den Almen der Fall. Allerdings waren die Wege dort oben oft schwer zu bgehen und die Almen viel weiter voneinander entfernt, besonders dann, wenn ein Tal dazwischenlag. Obwohl vielleicht noch Sichtkontakt bestand, konnten solche Distanzen nicht mehr einfach zu Fuß bewältigt werden. Davon, dass sich die Almleute untereinander in den meisten Fällen kannten, ist auszugehen, da die Leute oftmals von benachbarten Höfen die jeweilige Alm bewirtschafteten. So trug man auch über den Sommer, wie sonst das restliche Jahr über in den Niederungen, für einander Sorge.
Eine Frau allein auf der Alm war keine Seltenheit.
Aber auch innerhalb einer Almwirtschaft mussten die Menschen oft über lange Distanzen miteinander Austausch pflegen, etwa wenn der Halter mit den Tieren hoch aufgestiegen war und Hilfe benötigte. Darüber hinaus bestanden noch viele weitere Anlässe, warum die Almleute innerhalb und zwischen den Almen miteinander kommunizieren wollten.
Wie angedeutet, war ein wichtiger Punkt die gegenseitige Hilfe und Unterstützung: Auf den Almen gab es oft gemeinsame Herausforderungen, wie plötzliche Wetterumschwünge, Raubtiere oder Krankheiten bei den Tieren. Die Almleute konnten durch Kommunikation Informationen über solche Ereignisse austauschen und sich gegenseitig Hilfe anbieten. Der Austausch von Ressourcen war ein weiterer Punkt. Die Kommunikation ermöglichte den Almleuten, ihre Ressourcen zu tauschen oder zu teilen, um vielfältige Bedürfnisse zu erfüllen. Auch die Warnung vor Gefahren stellte einen der Hauptgründe für einen Austausch dar: Wenn Bedrohungen, wie Waldbrände, Viehdiebstahl oder Wilderer etc. auftraten, konnten spezielle Formen der Kommunikation dazu dienen, die Almleute rechtzeitig zu warnen, damit sie entsprechende Maßnahmen ergreifen konnten.
Der Austausch von Informationen war ebenfalls sehr wichtig. Die Almleute tauschten Informationen über Tierzucht und -behandlung (auch im Kranheitsfall), über Wetterprognosen und andere relevante Themen aus, um ihre Entscheidungen treffen und Handlungen auf der Alm entsprechend planen zu können. Dafür war auch die Koordination von Arbeitsabläufen wichtig, da die Almleute oft in Gruppen arbeiteten. Die Kommunikation half bei der Abstimmung und Koordination dieser Arbeitsabläufe. Zuletzt kann noch die Geselligkeit als Punkt angeführt werden, da die Almleute oft lange Zeiträume auf den abgelegenen Almen verbrachten und ihnen so die Kommunikation untereinander die Möglichkeit bot, soziale Kontakte zu pflegen – oder einfach auch nur, um ein Lebenszeichen zu vernehmen.
Zur Verständigung über größere Distanzen sind Musikinstrumente, aber auch die menschliche Stimme geeignet, mit der gesungen, gerufen, gejauchzet und gejodelt wurde.
Generell wird angenommen, dass die menschliche Stimme in der Regel etwa 70 bis 90 Dezibel (dB) erreichen kann. Dies entspricht in etwa der Lautstärke einer normalen Gesprächslautstärke bis zu einem lauten Schrei. Das nomale Singen erreicht etwa dieselbe Lautstärke. Obwohl das Singen auf den Almen große Tradition hat und für das gesellschaftliche Leben dort prägend und typisch ist, ist es nicht ausreichend dazu geeignet, Signale über weite Distanzen zu transportieren.
Jodeln
Beim Jodeln hingegen wird die Stimme automatisch lauter, da es eine gewisse stimmliche Anstrengung benötigt, um die charakteristischen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme zu erzeugen. Das ist der sogenannte Registerwechsel, der zu einer natürlichen Erhöhung der Lautstärke führt. So ist mit dem Jodeln auch eine wesentlich höhere Lautstärke zwischen 85 und 110 Dezibel zu erreichen. Durch das Echo in den Bergen klingen ein Ruf oder Jodler noch lauter. Wenn jemand in den Bergen jodelt, werden die Schallwellen des Jodelns von den umliegenden Bergflächen reflektiert. Dies führt dazu, dass der Klang des Jodelns mehrfach widerhallt und verstärkt wird, wenn die Schallwellen von den verschiedenen Oberflächen zurückprallen. Jodeln war deshalb auf den Almen besonders nützlich, um über große Entfernungen hinweg Signale zu senden, da die klaren und durchdringenden Töne der Jodler auch in den Bergen gut gehört werden konnten.
Das Echo kann den Jodelgesang voller und präsenter klingen lassen, da der Klang von verschiedenen Richtungen und Winkeln auf den Zuhörer zurückkommt. In einigen Fällen kann das Echo eine fast chorale Wirkung erzeugen, als ob mehrere Personen gleichzeitig jodeln würden, obwohl es sich tatsächlich um einen einzigen Jodler handelt.
Die Verstärkung durch das Echo hat zweifellos dazu beigetragen, dass das Jodeln in bergigen Regionen zu einer beliebten Form der Kommunikation und Unterhaltung geworden ist. Es hilft auch dabei, den Klang über weite Entfernungen zu tragen und die Botschaften der Jodler an andere in der Umgebung zu übermitteln.
Charakteristische Merkmale des Jodelns sind das häufige Umschlagen zwischen Brust- und Kopf- bzw. Falsettstimme (Registerwechsel), eine eng geführte Mehrstimmigkeit, große Intervallsprünge und die fast ausschließliche Verwendung von Dur-Tonarten. Ein weiteres Erkennungsmerkmal des Jodlers ist das Singen oder Rufen auf Lautsilben. Vokale dienen dabei als Klangträger und machen die Klanggebung stimmlich leicht. Silben und Melodie sind sehr eng miteinander verknüpft.
Unbestritten hat das Jodeln daher eine Wurzel in der Kommunikation über weite Distanzen. Jodler und Juchzer wurden ursprünglich als Verständigungsmittel in der Alm- und Bergwirtschaft verwendet. Sie entwickelten sich aus Signalen von Mensch zu Mensch (Verständigungsmittel von Alm zu Alm oder etwa Arbeitskommandos bei Holzarbeiten im Wald), oder von Mensch zu Tier (Viehlockrufe), wozu wir später noch kommen werden.
In Österreich ist die Steiermark, hier besonders die Obersteiermark zusammen mit ihren angrenzenden Gebieten, wie dem Ennspongau, dem Salzkammergut, dem oberösterreichischen Ennstal und dem Schneeberggebiet, eine der herausragenden Regionen des Jodelns. Dennoch ist der Jodler auch in anderen Berggegenden Österreichs heimisch, insbesondere in Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Oberkärnten (Kärnten). Weitere bedeutsame Jodellandschaften im süddeutsch-alpenländischen Raum finden sich in der Schweiz (wie Appenzell, Innerschweiz und Berner Oberland) sowie in Bayern (darunter das Allgäu und Oberbayern).
Die Jungen Ramsauer aus Bayern
Geschichte des Jodelns
Der älteste Hinweis auf das Jodeln im Alpenraum stammt aus einem Märtyrerbericht aus dem Trentin aus dem Jahr 397 n. Chr. In diesem Bericht wurden drei christliche Missionare von den heidnischen Anaunen unter einem "ululato carmine diabolico"*, was der österreichische Volkskundler Leopold Schmidt (1948) mit "Gedudel eines teuflischen Liedes" übersetzte, getötet. Um diese Zeremonie noch schrecklicher zu machen, sangen sie dabei diese "schelmischen Lieder". All dies geschah in San Zeno (Sanzeno) im Trentino, wie der damalige Bischof von Trient, der Heilige Vigilius von Trient, dem Heiligen Johannes Chrysostomos schrieb. Genau auf dem Platz des Massakers ließ Vigilius eine Kirche erbauen. Die Anaunen sind heute bekannt unter dem Begriff Räter, Raeter oder Räther.
Die Räter waren ein antikes Volk oder eine Gruppe von Völkern, die sich im Bereich der mittleren Alpen ansiedelten. Nach älteren Vorstellungen erstreckte sich ihr Siedlungsgebiet ungefähr zwischen dem Lago Maggiore, Como, Verona, dem Unterinntal und dem Bodensee. Die deutsche Bezeichnung "Räter" leitet sich von den griechischen und römischen Begriffen Ῥαιτοί (Rhaitoí) bzw. Raeti ab, die seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. in antiken Quellen auftauchen. In einigen dieser Quellen wird behauptet, dass die Räter durch die keltische Invasion der Poebene um 400 v. Chr. aus dieser Region in die Alpen vertrieben wurden und dort eine Art von "verwilderten" Etruskern waren. Es wird heute tatsächlich angenommen, dass es eine sprachliche Verwandtschaft zwischen der rätischen und etruskischen Sprache gibt. Im Gebiet der Räter, einschließlich der umliegenden Regionen, wurden zahlreiche Inschriften im sogenannten "nordetruskischen Alphabet" entdeckt, wie es von Theodor Mommsen bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung steht im Zusammenhang mit Mommsens Ansicht, dass die Sprache der Räter, die er in Graubünden und Tirol lokalisierte, etruskisch (oder ein "etruskischer Dialekt") gewesen sei. Die Buchstaben dieses Alphabets ähneln denjenigen der Etrusker und der Veneter, die wiederum von der westgriechischen Schrift abgeleitet sind. Diese Inschriften sind vor allem auf Felsen, Votivgaben an Heiligtümern (z. B. Schneidjoch im Rofangebirge zwischen Blaubergen und Achensee) sowie Brandopferstätten zu finden. Häufig treten Personennamen und Patronymen in den Inschriften auf. Diese Ähnlichkeiten zum Etruskischen sind besonders bei geografischer Nähe erkennbar, könnten aber auch über die Grenzen von Sprachfamilien hinweg auftreten, wie der Sprachwissenschaftler Ernst Risch betont hat. Die Räter wiesen kulturelle Gemeinsamkeiten mit anderen alpinen Nachbarvölkern wie den Norikern und Vindelikern auf. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass ihre Ernährung hauptsächlich auf Landwirtschaft basierte. Jagdbeute wie Rothirsch und Wildschwein spielten eine geringere Rolle, während Haustiere wie Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine sowie Hunde und Pferde häufiger vertreten waren. Strabon zufolge betrieben die Räter Handel mit verschiedenen Gütern wie Rosinen, Harz, Kienholz, Wachs, Honig und Käse, was ihre wirtschaftlichen Aktivitäten verdeutlichte. (Bild: Universität Innsbruck, Mädchen beim Wasserholen)
Das Wort "ululare" könnte auf Silbenwiederholungen und Registerwechsel hinweisen, das Wort "jodeln" selbst stammt aus den Mundarten, die in den Alpen gesprochen werden. Es handelt sich um eine Ableitung des Jodelrufes "jo". Möglicherweise ist die Bildungsweise von jodeln durch das Verb dudeln beeinflusst worden. Die Lockrufe für das Vieh auf den Almen wie zum Beispiel: "Heh, do, heh do!" haben manchmal große Ähnlichkeit mit bekannten Jodel-Silben: "Ho – eh – di – ri" usw.
Ein dreistimmiger Jodler aus der Steiermark, gesungen vom Bartholomäer Dreigesang
Wann genau das Jodeln entstanden ist, kann aber schwer nachvollzogen werden. Die Bezeichnung "jodeln"ist erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auch außerhalb der Alpenregion zu weiterer Verbreitung gelangt und tauchte dort um 1800 auf, genauer gesagt 1796 in E. Schikaneders Lied "Die Tyroler san often so lustig und froh" ("Sie jodeln und singen und thun sich brav um") aus dem Volksstück Der Tyroler Wastl. Am weitesten ist die Verwendung des Wortes "jodeln" verbreitet, während in Wien und im Schneeberggebiet in Niederösterreich auch von "dudeln" die Rede ist. In der Schweiz wird es als "juuzen", "jolen" oder "zauren" bezeichnet.
Das Jodeln war früher auch unter den Waldberuflern (Köhler, Holzhauer, Holzfuhrleute) weit verbreitet.
Wie variantenreich das Jodeln schon früher war, zeigt die bekannte Jodelsammlung mit 444 Jodlern aus der Steiermark und dem steirisch-oberösterreichischen Grenzgebiet von Josef Pommer aus dem Jahr 1902. Als im 19. Jahrhundert aus dem "Naturjodler" das "Jodellied" wurde, bekam das Jodeln zudem eine stärkere Unterhaltungskomponente. Jodler und Jodellieder sind heute fester Bestandteil der volkstümlichen Musik. Jodeln ist im deutsch- und französischsprachigen Alpenraum heimisch, aber auch außerhalb der Alpen gibt es Regionen, in denen gejodelt wird, wie etwa im Harz und Thüringer Wald, im oberösterreichischen Innviertel, im Mühlviertel und im Bayerischen Wald. Jodeln hat sich mittlerweile aber auch weit über den Alpenraum hinaus verbreitet. In den USA und Australien hat das Jodeln durch Auswanderer im Bereich der Country-Musik Einzug gehalten. Das Jodeln wurde zu einem wichtigen kulturellen Erbe der Alpenregionen und ist bis heute in vielen ländlichen Gebieten dieser Länder lebendig geblieben.
Meine persönliche Einschätzung ist, dass sich das Jodeln und die Jauchzer aus Viehlockrufen und Almschreien (Almrufen) heraus entwickelt haben, womit wir beim nächsten Thema wären.
Die wohl bekanntesten Jodler in der Steiermark sind der Erzherzog-Johann-Jodler und der Andachtsjodler, der alljährlich zu Weihnachten am Heiligen Abend gesungen wird. Dieser wird auch Mettenjodler genannt und stammt aus Südtirol. Von Volkskundler Friedrich Haider wird vermutet, dass dieser Jodler in seiner heutigen Form Ende des 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts entstand. Es gibt Aufzeichnungen, die belegen, dass das Lied noch im Jahr 1830 in Sterzing (Südtirol) in der Christmette als Zusatz zu einem Hirtenlied gesungen wurde. Konrad Fischnaler berichtete, dass es dort sogar noch im Jahr 1850 während der Wandlung vom Heiliggeistloch herunter erklang.
Hier eine Interpretation vom Salzburger Adventsingen 2021:
Der Erzherzog-Johann-Jodler kann als Lob an Erzherzog Johann von Österreich (1782-1859) verstanden werden. Er ging nicht nur als Modernisierer in die Geschichte ein, sondern war auch in volkskultureller Hinsicht äußerst wichtig für die Steiermark, denn er trug zum Sammeln und Fördern materieller und geistiger Kultur bei und pflegte einen engen Kontakt zur Bevölkerung. Ausgedrückt hat er dies durch das Tragen des Steireranzuges, außerdem heiratete er eine Bürgerliche, die Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl.
Diese Interpretation des Erzherzog-Johann-Jodlers stammt aus dem österreichisches Heimatmelodram von 1957 unter der Regie von Max Neufeld Der schönste Tag meines Lebens. Die Hauptrollen sind besetzt mit Paul Hörbiger, Ellinor Jensen, Michael Ande und Paul Bösiger. Michael Ande spielt den Waisenjungen Toni Ferency, der mit Ungarnflüchtlingen nach Österreich gekommen ist und nach einigen Querelen den Wiener Sängerknaben beitreten kann. Das Drehbuch basiert auf einer Idee des damals 70-jährigen Max Neufeld, für den Der schönste Tag meines Lebens sein letzter Film sein sollte.
Mehr oder minder bedeutende Komponisten widmeten dem berühmten Erzherzog Stücke, die heute allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Im Gegensatz wurden einige der sogenannten „Erzherzog Johann-Lieder” als Volkslieder bekannt und werden noch heute gerne gesungen, allen voran das berühmte „Wo i geh und steh”. Zumindest der Text dieses „steyrischen Alpenliedes” – die Melodie dürfte aus Tirol stammen – wurde 1830 vom oberösterreichischen Beamten und Mundartdichter Anton Schosser (1801-1849) in Schärding verfasst und unter dem Titel „’s Hoamweh” in den „Naturbildern aus dem Leben der Gebirgsbewohner in den Grenzalpen zwischen Steyermark und dem Traunkreise” (Linz 1849) abgedruckt veröffentlicht. Durch die Aufnahme in eine Reihe von Liederbüchern fand das Lied rasch Verbreitung.
Rufe und Juchzer
Neben dem Jodeln gibt es weitere verschiedene Arten von Lautäußerungen im Almwesen, darunter Rufe und Juchzer. Juchzer sind kurze, weittragende Ausrufe, die in hoher Tonlage beginnen und stufenweise nach unten gehen. Im Gegensatz dazu beginnen Rufe seltener mit dem höchsten Ton und haben einen beweglicheren Melodieverlauf. Die Almrufe lassen sich in drei Kategorien einteilen: Verständigungsrufe, Unterhaltungsrufe und Almschreie.
Verständigungsrufe: Aufgezeichnet wurden kurze, einfache Kadenzen auf Silben ohne Wortbedeutung zur Verständigung bei der Viehsuche (Pommer 1906), beim Sammeln von Beeren (Mautner 1919), bei Holzarbeiten, als Weckruf, Zuruf, Antwort, beim Viehhüten (vgl. Das deutsche Volkslied 5, 6, 12, 22, 29), beim Skifahren und als Gruß (Fink 1998). Es gibt auch längere Rufe mit Text, wie Einladungen ("Lisei! hå i å u i. Kimm ummar auf d’Nacht, i håw an schön Ålmabuam! hå i å u i"; Liebleitner 1923; Einladung zum Essen, vgl. Gielge 1935), Warnungen (Eberhard 1942) und Hilferufe (Fink 1998).
Unterhaltungsrufe: Diese wurden erstmals von Reiseschriftstellern wie F. J. Kleyle 1820 (Almen), F. C. Weidmann 1834 und J. G. Kohl 1842 (Johezen) beschrieben, jedes Mal aus der Steiermark. Die ersten Textbeispiele stammen von Andrian 1905 aus Altaussee (Johitzen). Eine ähnliche Singweise wurde im Berchtesgadnerland und am Tegernsee dokumentiert (Reima, Gallna; vgl. Hartmann 1875, Kobell [o. J.]). Die dokumentierten Unterhaltungsrufe im Salzkammergut beginnen oft mit einem Ruf auf Jodelsilben, gefolgt von einer textlichen Passage ähnlich einem Rezitativ. Die gereimte zweite Zeile folgt auf gleiche Weise. Hierbei wurden poetische oder humorvolle Ideen ausgetauscht, und über große Entfernungen hinweg wurden stundenlange Gespräche geführt. Ein abschließender Ruf auf Jodelsilben markierte das Ende der Unterhaltung (vgl. Pommer 1915; Mautner 1919; Gielge 1935, 1937 Bschoad-toan = Bescheid Tun; Tonaufnahme Gielge/Deutsch 1967 Bschoad-toan, Scherzrufe).
Almschreie: Diese bestehen fast ausschließlich aus Jodelsilben, oft gekennzeichnet durch kühne Modulationen, mit einer Wortkadenz am Ende (meist "Alm") (Deutsch 1975). Es wurden Übergangsformen zwischen einstimmigen Almschreien und mehrstimmigen Jodlern festgestellt (Gielge 1935, Barcaba 1996). Aufzeichnungen von Pommer 1913, Mautner 1919, Gielge 1928, 1935, 1937; Tonaufnahmen: Gielge/Deutsch 1967; Haid/Haid 1994, 1999. Diese Almschreie sind hauptsächlich im Salzkammergut als Überlieferung der Sennerinnen dokumentiert.
Diese Rufe werden laut und langgedehnt in hoher Stimmlage produziert, meist im isolierten Kopfregister, und wechseln zur Erreichung tieferer Töne in das isolierte Brustregister. In der Regel sind die Rufe solistisch, doch wurde auch ein Spiel mit Zweistimmigkeit durch Echowirkung beobachtet. Die Rufe können Texte haben, enthalten jedoch oft Silben ohne semantische Bedeutung. Diese Silben unterstützen durch ihre Klangform die jeweilige Stimmlage und sind arm an Konsonanten im Gegensatz zu den späteren Jodelsilben. Die Melodie zeichnet sich durch Dreiklangsbrechungen und archaische Elemente wie freie Rhythmik, ekmelische Töne und Schlussportamenti aus.
Eine interessante Gewohnheit während des Rufens ist das Halten der Zeigefinger an den Seiten des Kopfes oder an einem Ohr, wie es 1840 von Joseph Tunner gezeichnet und bis heute im Salzkammergut praktiziert wird, obwohl seine genaue Bedeutung nicht vollständig geklärt ist.
Viehlockrufe
Viehlockrufe sind eine Form der vokalen Kommunikation, die von Hirten und Viehhütern verwendet wird, um ihr Vieh anzulocken, zu beruhigen oder zu leiten. Diese Lockrufe sind spezielle Gesänge oder Rufe, die oft sehr laut und melodisch sind, um über weite Entfernungen gehört zu werden. Auch im normalen landwirtschaftlichen Betrieb außerhalb von Almen werden Viehlockrufe verwendet, um die Tiere von der Weide oder aus dem Wald zum Heimtreiben zu rufen. Es ist eine ungeheure Freude zu sehen, mit welcher Verbundenheit, Begeisterung und Vertrauen die gelockten Tieren zu ihrer Bezugsperson stürmen, stets wissend, was sie erwartet. Ohne diese Rufe wäre es in manchen Gefahrensituationen, etwa hereinbrechende Unwetter, oft nicht möglich, die Tiere rechtzeitig in ihren sicheren Stall zu bringen.
Hier ein paar Erinnerungen aus meiner Kindheit zum Viehlocken:
Ich erinnere mich an eine Situation in meiner Kindheit, als die Kühe am frühen Abend noch auf der Weide waren und unvermittelt ein schweres Gewitter aufzog. Die Großeltern waren mit uns drei Kindern allein zu Hause und die Tiere mussten von einer etwa 500 Meter entfernten Weide an einem angrenzenden Waldstück heimgeholt werden. Die Großeltern konnten uns nicht allein zurücklassen – dazu waren wir noch zu klein, und da die Blitze schon arg waren, wagte es keiner, so weit zu Fuß zu laufen. So stiegen wir damals alle fünf in den neuen Traktor mit geschlossener Fahrerzelle, da mein Großvater meinte, hier wären wir vor Blitzschlag am sichersten. Meine Großmutter hatte nie Auto- oder Traktorfahren gelernt. So fuhren wir den Feldweg bei einsetzendem Regen und Hagel bis zur Weide. Meine Großmutter öffnete das Weidentor, sodass der Großvater mit uns Kindern im Traktor wenden konnte. Immer wieder rief meine Großmutter den den Tieren geläufigen Lockruf "Se-se-se-se-see!" zu, bis sie endlich kamen. Der Traktor fuhr bereits langsam vor, damit sie nicht "auskrachten", wie wir sagten: Das bedeutete, dass sie als Fluchttiere in Panik nicht einen falschen Weg einschlagen und davonlaufen würden. Einsammeln hätte sie in der inzwischen durch das Gewitter stockfinster gewordenen Nacht niemand mehr können. Sie brauchten aber auch Platz zum Weiterlaufen, da sie als Herde nach Hause drängten. Es waren damals etwa 20 Kühe, und während die verängstigten Tiere stürmisch der Reihe nach herbeiliefen, zählte meine Großmutter sie gewissenhaft. Sie musste ein bisschen in Deckung gehen, damit sie nicht niedergerrannt wurde. Der Traktor rumpelte also durch das bedrohliche Gewitter über den Feldweg, die Kühe hinterher und ganz hinten lief meine Großmutter mit dem Stock, damit ja keine verloren ging. Meine Großeltern brachten alle gut nach Hause, und es ist niemandem etwas geschehen – nicht den Kühen, nicht uns Kindern und Gott sei Dank auch ihnen nicht. Im Haus angekommen, waren wir Kinder komplett durchnässt, obwohl wir nur wenige Sekunden unter freiem Himmel waren, so stark schüttete es.
Ich erinnere mich auch, wie sehr ich mich freute, als ich das nötige Alter erreicht hatte, dass die Kühe auch auf meinen Lockruf folgten. Damit besass ich genügend Autorität und sie kannten mich. Es war noch vor der Volksschule.
Am schönsten war es, wenn wir im Sommer einmal in der Woche auf unsere Alm fuhren, um zu sehen, ob es den Kalbinnen gut ging – ob sie genügend Wasser, noch genügend Weide und Salz hatten. Wenn wir kamen und mein Vater sie lockte, stümten sie mit der größten Freude wie junge Wilde herbei – den Schwanz in der Höhe! Mit einem neuen Leckstein war das Glück dann ganz. Sie waren noch nicht so zutraulich, dass sie sich von uns Kindern streicheln ließen. Manchmal denke ich im Nachhinein, dass der Sommer auf der Alm auch die Nebenfunktion erfüllt, die Tiere "anheimisch" zu machen.
In verschiedenen Kulturen auf der ganzen Welt gibt es Traditionen von Viehlockrufen, die sich in Melodie, Rhythmus und Stil unterscheiden können. Diese Lockrufe werden normalerweise von Hirten eingesetzt, um Rinder, Schafe, Ziegen oder andere Tiere in der Herde zu rufen und zu kontrollieren, wenn sie auf der Weide sind oder über größere Distanzen verstreut sind.
Ähnlich wie bei Joiken und Jodeln steht bei den Viehlockrufen die funktionale Komponente im Vordergrund. Die Rufe müssen effektiv sein, um das Vieh zu locken, zu leiten oder zu beruhigen, und sie werden oft über Generationen weitergegeben und verfeinert, um eine effiziente Kommunikation mit den Tieren zu gewährleisten.
Viehlockruf aus der Schweiz von Bernhard Betscha
Obwohl die Techniken und Stile der Viehlockrufe je nach Region variieren können, teilen sie die Gemeinsamkeit, dass sie vokale Kommunikationsmittel sind, die eine enge Beziehung zwischen Mensch und Tier demonstrieren. Sie spiegeln auch das tiefe Verständnis und die Verbundenheit der Bezugsperson mit ihren Tieren und der Natur wider. Wie Joiken und Jodeln sind Viehlockrufe ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Menschen durch vokale Kommunikation mit ihrer Umwelt interagieren und Traditionen über Generationen hinweg weitergeben.
Diese Rufe sind nicht nur eine Möglichkeit, das Vieh zu kontrollieren und zu leiten, sondern sie können auch eine besondere Bindung zwischen den Hirten und ihren Tieren schaffen. Die Kühe lernen die Stimme und den Ruf der Bezugsperson kennen und reagieren auf die spezifischen Rufe. Dadurch können diese ihr Vieh besser führen und bei Bedarf zusammenhalten.
In einigen Regionen wurden und werden sogar spezielle Melodien oder Jodel verwendet, um das Vieh anzulocken. Diese Melodien sind oft sehr charakteristisch für die jeweilige Region und können auch als eine Art Identifikationsmerkmal dienen.
Die Kuhlockrufe variieren nicht nur von Region zu Region, sondern auch von Familie zu Familie. Sie werden oft mündlich über Generationen weitergegeben und sind ein wichtiger Teil der alpenländischen Kultur. Jede Region und Gemeinschaft hat ihre eigenen Traditionen und Rituale im Umgang mit dem Vieh, und die Kuhlockrufe sind ein lebendiges Beispiel dafür. Auf der Alm verbringen die Hirten und Hirtinnen viel Zeit mit ihren Tieren, und im Laufe der Zeit entwickeln sie eine besondere Beziehung zu ihnen. Sie kennen ihre Kühe individuell, wissen um ihre Eigenheiten, ihre Vorlieben und ihre Bedürfnisse. Die Kuhlockrufe sind eine Möglichkeit, eine persönliche Verbindung zu den Tieren herzustellen und ihnen zu zeigen, dass sie umsorgt und geschätzt werden.
Darüber hinaus haben die Kuhlockrufe auch eine beruhigende Wirkung auf das Vieh. Die vertraute Stimme des Menschen wirkt beruhigend auf die Kühe und schafft eine vertraute und verlässliche Umgebung für sie. Dies ist besonders wichtig in den oft unvorhersehbaren und manchmal herausfordernden Bedingungen in den Bergen.
Die Sorge und Verbundenheit zum Tier, die in den Kuhlockrufen zum Ausdruck kommt, spiegelt die traditionelle Lebensweise der Menschen in den Alpen wider, die eng mit der Natur und den Tieren verbunden ist. Die Menschen haben eine große Verantwortung für ihr Vieh und sorgen dafür, dass es gut versorgt ist und sich sicher fühlt.
Die Kuhlockrufe sind also nicht nur ein kulturelles Erbe und eine traditionelle Praxis, sondern auch ein Ausdruck der liebevollen Beziehung zwischen Mensch und Tier in den alpinen Gemeinschaften. Sie zeigen, dass die Menschen in den Alpen nicht nur wirtschaftliche Interessen mit ihrem Vieh verbinden, sondern dass es ihnen auch am Herzen liegt, ihre Tiere gut zu behandeln und zu schützen.
Alphorn
Der Volksüberlieferung zufolge wurde das Alphorn in manchen Schweizer Gebieten im 14. Jahrhundert als Signalinstrument verwendet. Die erste bekannte schriftliche Erwähnung eines Alphorns in der Schweiz datiert auf 1527.
Das Alphorn ist ein zumeist aus Holz gefertigtes Blasinstrument in der Form eines langen, konischen Rohrs, das am Ende wie ein Kuhhorn gebogen ist und in einen Schallbecher übergeht. Es diente nicht nur als Musikinstrument für Unterhaltung und kulturelle Veranstaltungen, sondern wurde auch als effektives Kommunikationsmittel in den Alpen eingesetzt. Aufgrund seiner langen Länge und der trichterförmigen Öffnung konnte der Klang des Alphorns über große Distanzen getragen werden. Die Alphornbläser nutzten verschiedene Signale, um mit anderen Menschen auf entlegenen Almen oder in den Tälern zu kommunizieren. Zum Beispiel konnten sie Nachrichten über Gefahren, Viehherden oder wichtige Ereignisse übermitteln. Ebenso wurde das Alphorn verwendet, um sich von einer Alm zur anderen zu verständigen oder um Kontakt zwischen Hirten und Siedlungen herzustellen.
Alphorn Duo Rauschhorn mit Christoph Im Obersteg & Thomas M Rüst in den Schweizer Bergen, Schynige Platte mit Choral für Luzern von Anton Wycki
Die Kommunikation mittels Alphorn erfolgte durch spezielle Melodien und Klangmuster, die von den Menschen in den Alpen verstanden wurden. Die Alphornbläser waren oft geschulte Hirten oder speziell dafür ausgebildete Personen, die die Bedeutung der verschiedenen Alphornsignale kannten und interpretieren konnten.
Die Verwendung des Alphorns als Kommunikationsinstrument war in den entlegenen Bergregionen besonders hilfreich, da es keine anderen Mittel zur schnellen und zuverlässigen Übermittlung von Nachrichten gab. Die klaren und lang anhaltenden Töne des Alphorns ermöglichten es, über die weite und oft schwierige Topographie der Alpen hinweg zu kommunizieren.
Heutzutage hat das Alphorn als Kommunikationsmittel natürlich an Bedeutung verloren, da moderne Technologien wie Telefone, Funkgeräte und Internet die Kommunikation über weite Entfernungen erheblich erleichtert haben. Dennoch wird das Alphorn als kulturelles Symbol und Musikinstrument in den alpinen Regionen weiterhin geschätzt und gepflegt. Es ist ein wichtiger Teil der alpinen Tradition und Identität und wird bei verschiedenen Anlässen und Festen gespielt.
Horn, Carnyx und Lure
Da es bereits zur Hallstattzeit Almwirtschaft gab, wäre es interessant, ob das keltische Blasinstrument, die Carnyx, bereits eine Rolle in der Kommunikation spielte. Die Verbindung zwischen dem Alphorn und dem keltischen Carnyx ist nicht eindeutig belegt, es gibt jedoch einige interessante Parallelen und theoretische Verknüpfungen.
Die Carnyx ist ein antikes keltisches Blasinstrument aus der Eisenzeit, das hauptsächlich aus Bronze gefertigt wurde. Ihr charakteristisches Merkmal ist die Form eines gebogenen Metallhorns, das oft mit kunstvoll gestalteten Tiermotiven verziert ist, und häufig endet die Carnyx in einem stilisierten Tierkopf. Die Verwendung dieses Instruments erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 300 v. Chr. bis 200 n. Chr.
V. l.n.r.: Bei Tintignac gefundene Carnyx; Carnyx-Abbildung auf einem Silberdenar aus dem Jahr 48 v. Chr.; drei Carnyxbläser auf dem Kessel von Gundestrup, Dänemark
Die Carnyx hatte eine vielfältige Verwendung in den keltischen Kulturen. Einer ihrer prominentesten Einsatzzwecke war als Kriegsinstrument. Während militärischer Konflikte wurde die Carnyx eingesetzt, um furchterregende und motivierende Klänge zu erzeugen. Der schrille Klang der Carnyx sollte nicht nur die eigenen Truppen begeistern, sondern auch den Feind einschüchtern und demoralisieren. Dies trug dazu bei, dass die Carnyx in der römischen Literatur, insbesondere in Berichten von Julius Caesar und Claudius über ihre Feldzüge in Gallien und Britannien, Erwähnung fand. Diese Berichte beschrieben oft den unheimlichen Klang und die Angst, die die Carnyx bei den Römern auslöste.
Neben ihrem Einsatz auf dem Schlachtfeld hatte die Carnyx auch eine Rolle in feierlichen Anlässen und rituellen Zeremonien. Sie konnte verwendet werden, um wichtige Momente in der keltischen Kultur zu begleiten und zu betonen.
Rekonstruktion des Deskford-Carnyx (Schottland) von John Creed
Archäologische Funde von Carnyces sind äußerst bedeutsam. In Schottland wurde ein gut erhaltenes Exemplar entdeckt, und in Frankreich wurden gleich fünf gut erhaltene Instrumente unter einem gallo-römischen Umgangstempel gefunden. Weitere Funde gibt es in Deutschland und Irland
Auch in Österreich wurde 2019 im Zuge von Grabungen am Klosterfrauenbichl in Lienz, Osttirol, Fragmente einer Carnyx mit Wildschwein- oder Drachenkopf geborgen.
Die Carnyx war nicht nur in den keltischen Kulturen verbreitet. Ähnliche Instrumente, wie die römischen Lituus, wiesen Ähnlichkeiten mit der Carnyx auf und waren in verschiedenen Teilen des eisenzeitlichen Europas anzutreffen.
Insgesamt ist die Carnyx ein faszinierendes Relikt der antiken keltischen Kultur. Sie diente nicht nur praktischen Zwecken, sondern spiegelte auch die kulturelle Bedeutung und den kreativen Ausdruck dieser alten Gesellschaften wider.
Es gibt einige Theorien, die darauf hinweisen, dass das Alphorn möglicherweise eine Weiterentwicklung oder eine Variation der keltischen Carnyx sein könnte:
Kulturelle Übertragung: Es wird angenommen, dass keltische Kulturelemente, einschließlich musikalischer Traditionen, über die Jahrhunderte hinweg Einfluss auf verschiedene Regionen Europas hatten. Während die genaue Übertragung der Instrumententechnologie nicht dokumentiert ist, könnten keltische Musikelemente Einfluss auf die Entwicklung von Instrumenten wie dem Alphorn genommen haben.
Klangliche Ähnlichkeiten: Sowohl die Carnyx als auch das Alphorn erzeugen beeindruckende, laute Töne, die über weite Entfernungen gehört werden können. Dies könnte auf eine ähnliche Absicht hinweisen, nämlich Aufmerksamkeit zu erregen oder Botschaften über weite Distanzen zu übermitteln.
Verzierungen: Sowohl Carnyx als auch Alphorn zeigen künstlerische Verzierungen und Tiermotive. Dies könnte auf eine gemeinsame ästhetische Tradition hinweisen, die sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Regionen entwickelt hat.
Es existieren aber keine direkten historischen Aufzeichnungen oder Beweise, die eine unmittelbare Verbindung zwischen der Carnyx und dem Alphorn herstellen. Es handelt sich um eine hypothetische Möglichkeit, die auf kulturellen Einflüssen und parallelen Entwicklungen basiert. Die genaue Entstehung und Entwicklung von Musikinstrumenten ist oft schwer zu rekonstruieren, insbesondere in prähistorischen oder frühgeschichtlichen Zeiten.
Auch Lure und Carnyx sind zwei verschiedene Musikinstrumente mit historischem Hintergrund, die im Zusammenhang mit antiken Kulturen stehen. Sie haben einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Obwohl sowohl Lure als auch Carnyx Blasinstrumente sind und eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen. Die Lure gehört zur skandinavischen Volksmusiktradition, während der Carnyx ein charakteristisches Instrument der keltischen Kulturen ist.
Die Lure ist ein Blasinstrument, das im skandinavischen Raum Verwendung fand und ist eine naturtönende, frühgeschichtliche Naturtrompete, das traditionell aus einem metallenen Rohr oder Horn bestand. Sie wurde wie die Carnyx meist aus Bronze hergestellt und war auch als Kriegstrompete bekannt. Die Lure besteht aus einem Mundstück und mehreren zusammengesetzten Rohren, die in S-Form geschwungen sind. Sie hat eine Schallöffnung, die oft mit aufwendigen Verzierungen versehen ist. Funde von Luren wurden in verschiedenen Regionen gemacht, darunter Dänemark, Südschweden, Norddeutschland, Norwegen und Lettland. Diese Funde werden auf die Zeit zwischen dem 13. und 7. Jahrhundert v. Chr., in die jüngere Bronzezeit, datiert.
Luren wurden oft paarweise und harmonisch aufeinander abgestimmt gefunden, was darauf hindeutet, dass sie gemeinsam gespielt wurden. Die Darstellungen von Lurenbläsern auf bronzezeitlichen Felsbildern und die hohe handwerkliche Qualität der gefundenen Luren deuten darauf hin, dass sie zu ihrer Zeit von großer kultureller Bedeutung waren. Es wurden auch Hornluren hergestellt, die aus ineinander gesteckten Rindshörnern bestanden und eine alternative Bauweise zu den bronzenen Luren darstellten.
Im Gegensatz zum Carnyx ist es erwiesen, dass Luren oft auch in der Hirten- und Herdenmusik eingesetzt wurden. Sie wurde genutzt, um Vieh anzulocken oder als Signalinstrument für die Kommunikation in bergigen Regionen
Kuhglocken
Kuh- und Tierglocken spielen eine zentrale Rolle in der alpinen Landwirtschaft und haben eine tiefe kulturelle Bedeutung. Diese traditionellen Glocken werden an Halsbändern befestigt und von Nutztieren wie Kühen, Schafen und Ziegen getragen, während sie auf den Almen weiden. Die sanften Klänge der Glocken dienen mehreren Zwecken. Bei den Kühen trägt oft nur die Leitkuh eine Glocke bzw. die größte Glocke.
Kuhglocken
Insbesondere der Alpenbogen und vor allem die Schweiz haben eine sehr grosse Glocke namens Treichel (höchstalemannisch Trychle) entwickelt. Eine Trychle oder Treichle besteht immer aus gehämmertem Blech. Im Unterschied dazu besteht eine Glocke aus gegossenem Metall. Der Trychelklang wird dadurch scheppernder als Glockenklang; allerdings ist eine Trychle durch diese Bauweise auch wesentlich leichter als eine Glocke gleicher Tonhöhe und darum auch einfacher über längere Strecken zu tragen.
Treicheln
Das Wort "Glocke" ist keltischen Ursprungs aus mittelirischclocc, kymrisch cloch ‘Schelle, Glocke’. Glockenfunde aus der keltischen Kultur, insbesondere der La-Téne-Zeit, gibt es etwa in der Schweiz, aber auch in Österreich. In der prähistorischen Höhensiedlung Kugelstein (544 m hohe Bergkuppe) im Hügelland der Mittelsteiermark, zwischen der Marktgemeinde Deutschfeistritz und der Stadtgemeinde Frohnleiten, wurden fünf Glocken aus Eisen gefunden.
V.l.n.r.: Alteste Viehglocke in den Allgäuer Bergen (etwa 1.900 Jahre alt); Bronzeglocken, Gyöngyös, Ungarn, Skythisch, 5. Jahrhundert vor Christus im Glockenmuseum in Apolda in Deutschland; Skythische Glocken aus Gyöngyös, Ungarn (Bakay 1971, Taf. III): Überlange Klöppel dürften eine Eigenheit der Glocken aus dem euroasiatischen Steppengebiet bzw. der Steppennomaden sein.
Erstens erleichtern die Glocken den Hirten das Auffinden ihrer Tiere in den weitläufigen Berglandschaften. Der charakteristische Klang der Glocken ermöglicht es den Hirten, die Herden zu lokalisieren und sicherzustellen, dass alle Tiere beisammen sind. Dies ist besonders wichtig, da die Tiere oft auf abgelegenen Weideflächen grasen. Durch die Bewegung der Tiere, vor allem beim Äsen, bimmelt die Glocke, was den Tieren der Herde eine Orientierung gibt.
Zweitens bieten die Glocken auch Schutz vor Raubtieren. Das Klingeln der Glocken kann Raubtiere abschrecken und verhindern, dass sie sich den Herden nähern. Die lauten, rhythmischen Geräusche signalisieren potenzielle Gefahren und helfen, die Tiere sicher zu halten.
Darüber hinaus haben die Glocken eine kulturelle Bedeutung. Sie sind eng mit der alpinen Identität und Tradition verbunden und spiegeln die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier in dieser Umgebung wider. Die Glocken werden oft kunstvoll gestaltet und sind oft mit regionalen Mustern und Symbolen verziert. Sie sind auch ein akustisches Markenzeichen der Alpenlandschaft und tragen zur einzigartigen Atmosphäre bei.
*Vgl. VIGILII, Brief an Johannes Chrysostomus: "Cum (pagani) lustrale malum circa fines agrorum cuperent educere scena ferali, ac sata nascentia tam poterent quam foedarent, Christi quoque gemina calcaturi luctuosis ornatibus coronati, ululato carmine diabolico iuvenes necaverunt in conspectu Saturni." ––
Quellen
GUŠTIN, Mitja, Eine rätselhafte Fundstelle beim Kugelstein (Steiermark). Ein Schlachtfeld der ausgehenden Früh-La-Tène-Zeit? – Fundberichte Österreichs 56, 2017, D49-D62.
OBERZINER, Giovanni , I Reti, 1883, Herausgeber Innocenzo Artero Sammlung.
POMBERGER, Beate Maria & STADLER, Peter: Sicher vor Dämonen? Musikarchäologische Forschungen zu Glocken in awarischen Gräbern. Archaeologia Austriaca, Band 102/2018, 227–249 © 2018 by Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien doi: 10.1553/archaeologia102s227.
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