Nun neigt sich das Almjahr dem Ende zu und beginnend mit St. Bartholomä (24. August), dem Schirmherrn der Hirten und Almleute, erreichen an diesem Wochenende die Almheimfahrten ihren Höhepunkt. Der Almabtrieb, auch bekannt als Alpabfahrt, Alpabzug oder Viehscheid, bezeichnet den Viehtrieb von den Bergweiden (Almen) ins Tal im Alpenraum. Dieser jährliche Brauch findet je nach Region zwischen Ende Augsut und Anfang Oktober statt und geht oft mit festlichen Traditionen einher. In diesem vorletzten Beitrag zur Reihe "Land der Almen" wollen wir uns die Almabfahrt, die nachweisbar auf sehr frühe Ursprünge zurückgeht, genauer ansehen.
Vor der Almheimfahrt
Die erste urkundlich belegte Erwähnung vom Schmücken des Almviehs stammt aus einem Pustertaler Inventar von 1746; der Brauch ist aber sicherlich wesentlich älter.
Genau beobachten die Almleute die Weidegründe und wohl auch deren natürliche Pflanzengesellschaft. Solange der Hahnenfuß, die „Schmalzbleaml" (Butterblumen) und das „Manterlkraut" (der Frauenmantel) blühen, gibt es noch genug gutes Futter auf der Alm. Butterblume ist ein geläufiger Begriff für verschiedene gelb blühende Wiesenpflanzen. Zu den regional als Butterblume bezeichneten Pflanzen gehören der Hahnenfuß, das Scharbockskraut, die Sumpfdotterblume, die Trollblume, der Gewöhnliche Löwenzahn, die Ringelblume und das Wechselblättrige Milzkraut als Butterblume bezeichnet.
Wenn aber der „Milchdieb" (der Augentrost) auftaucht, dann geht die Milch zurück. Auch die vielen blauen Blütchen der Glockenblumen sind nicht sehr erwünscht, und so lautet der diesbezügliche Spruch: „A jeds Gleckerl (Blütenglöcklein) nimmt an Tropfn Milch!" Die „Milchdiapn" (Augentrost) erscheinen ab dem Jakobstag (25. Luli), und so macht man auch die Kalenderheiligen für den Milchrückgang verantwortlich:
„Der Jockel tuat kostn,
da Lenz tunkt in Boscht (Bart) ein,
und der Baschtl (Bartholomäus) fallt ganz drein."
Während sich also der Heilige Jakobus noch damit begnügt, die Milch zu kosten und so einen Teil wegnimmt, taucht der Laurentius schon seinen Bart hinein, und der Bartholomäus fällt gar in das Milchschaffl.
Ebenso wie die Milch, die im Ennstal am Tag der Auffahrt gemolken wurde, wurde auch jene, die am Tag der Abfahrt gemolken wird, als "Fedl- oder Fötlmilch" bezeichnet und gehörte den Armen. Das brachte der Sennerin Glück.
Vor dem Abtrieb fanden sich einst die Viehhändler und Käufer auf der Alm ein, um Handel mit Zuchtvieh zu treiben. Dieser fand auch noch gern in den Ställen statt, weniger auf Märkten.
Auch im Tal brachte das wichtige Ereignis der Heimkehr des Viehes das ganze Dorf, besonders aber die betreffenden Häuser in Anfruhr. Die Stallungen wurden geputzt, gelüftet, geräuchert und die Krippen mit reichlichem Futter versehen.
Die Grunacht (grûnnacht)
In den letzten Tagen herrschte in der Almhütte reges Treiben. Der Senner oder die Sennerin zusammen mit ihren Helfern begannen mit der mühsamen Aufgabe, den Boden, die Einrichtung und die Geräte zu reinigen und zu waschen. Diese Arbeit glich einer Herkulesaufgabe, bedachte man, dass der Schmutz von mehr als einem Vierteljahr daran haftete. Alles, was noch von Wert war, wurde gesammelt. Ein Teil davon wurde auf großen Tragegestellen ins Tal hinabtransportiert, ein anderer Teil wurde in verschließbaren Lagerhäusern, den sogenannten "Gaden", aufbewahrt. Wenn solche nicht vorhanden waren, wurden die Gegenstände an einem bestimmten Ort draußen im Wald vergraben. Dies galt besonders für den großen kupfernen Käsekessel, weil die Alpler glaubten, dass das Kupfer dort, wo es verborgen war, wachsen oder sogar zu Gold werden sollte.
Zwei Tage vor dem "Ausfahrtstag" wurde in der Hütte zum letzten Mal Käse hergestellt und die letzten Milcheimer gereinigt. In den letzten acht Tagen vor dem Abtrieb hielten die Almleute in manchen Gegenden die sogenannte „Schoppwoche" ab, in der es lustig zuging, wenig gearbeitet, dafür aber um so mehr gegessen und getrunken wurde, deren Höhepunkt die "Grunacht" war. Es hat dies mit der alten „Abschlußrast" am Ende der Sommerzeit zu tun. Besonders in Tirol war es üblich, die letzte Nacht auf der Alm feuchtfröhlich zu feiern. Auf einigen Almen der steirischen Sölktäler geschieht dies heute noch. Dabei standen Essen, Trinken und unbeschwerte Fröhlichkeit im Vordergrund. Auf manchen Almen wird noch ein Melchermus zubereitet. Die Speise aus Milch, Mehl, Salz und Butter wird einer speziellen Eisenpfanne auf offenem Feuer zubereitet.
Franz von Defregger: Auf der Alm (1881)
Normalerweise kamen benachbarte Sennerinnen und Senner sowie junge Frauen und Männer aus dem Tal zu Besuch. Sie brachten Körbe voller Blumen, Binsen und andere Dekorationen mit, um die Almkühe zu schmücken. Denn schon lange vor dem Almabtrieb mühte man sich darum, den festlichen Schmuck für die Heimfahrt vorzubereiten. In manchen Gegenden wird noch ein sehr ursprünglicher Schmuck aus Heidekraut, Zapfen, Speik, Vogelbeeren, Almrausch, Wacholder, Zirben- und Fichtenzweigen angefertigt. Häufig wird aber heute sehr viel mit buntem Kreppapier, mit Flitterwerk usw. geschmückt. Traditionell werden für den Kopfschmuck der Tiere weiters Almrausch (Alpenrose), Latschenkiefer, Silberdistel und Seidenblumen verwendet.
Links: Kuh vor dem Abtrieb; Mitte: Almheimfahrt im Passeiertal in Südtirol (Bild: Benjamin Pfitscher); rechts: Almabtrieb im Salzburger Land (Bild: Markus Greber)
Die Kranzkuh, die die Herde führt, hat einen besonders prächtigen Kopfschmuck in Form einer Krone aus Zweigen, Blumen, Gräsern und Bändern. Oft ist ein Kreuz im Kranz als Schutzsymbol enthalten, sowie Spiegel und Glocken zur Abwehr von bösen Geistern. In Liechtenstein werden die besten Milchkühe zusätzlich mit hölzernen Alpabfahrtsherzen geschmückt, die später an den Viehställen befestigt werden.
Almheimfahrt
Am nächsten Morgen beginnen die Vorbereitungen für den Almabtrieb früh. Die Kühe werden gemolken, die verbleibenden Dinge werden gepackt, und die Kühe werden für ihren Abtrieb geschmückt, was auch als "aufkranzen" bezeichnet wird. Diese Vorbereitungen erstrecken sich über viele Tage, insbesondere das Herstellen der schönen Blumen aus Krepppapier, die von den Bäuerinnen angefertigt werden, erfordert viel Zeit und Geschick.
Das eigentliche Aufkranzen ist ebenfalls eine zeitaufwändige Angelegenheit, bei der starke Nerven und Geduld erforderlich sind. Nicht jede Kuh reagiert sofort erfreut auf ihren Kopfschmuck und die große Glocke und kann sich manchmal unruhig verhalten. Erfahrene Kühe, so sagen die Besitzer, tragen diese Insignien jedoch mit Stolz.
Wenn in der Almsaison also kein Mensch und kein Vieh Schaden genommen haben (und im Dorf niemand gestorben war), erhalten die Rinder Hals-, Hörner- und Stirnschmuck aus Reisig, Blumen und buntem Papier. Den prächtigsten Schmuck trägt die Leitkuh, Milchkühe sind einfacher gekränzt, Kalbinnen und Jungtiere nur bescheiden geschmückt.
Früher bekam der Stier ein Fichtenbäumchen, eine kleine Zirbe oder einen Wacholder (Kranawett), den "Stiergrössing", aufgesetzt mit flatternden, bunten Bändern , und im Ennstal eine Tafel mit dem Spruch
I bin der Herr Stier mit meine zehn Kiah, wir bitten den Bauern um ein Winterquartier.
Stiergrössing
Der Stiertreiber, ein verkleideter Spassmacher, begleitete ihn. Das war ein Almhalter oder Knecht, dem die Sennin Bärlapp und grüne Blätter auf das Gewand nähte und der vom Kessel Ruß holte, um sich Gesicht und Hände zu schwärzen, wodurch er unterwegs zum Schrecken der Weiberleut wurde. Im Tal angekommen, wurde das Festbäumchen daheim an den Brunnenständer oder über der Stalltür befestigt und blieb dort bis zu dem Tag, an dem der „Weihnachtsgrössing" am Tor die Weihnachtszeit ankündigte. Diesen konnte man bei Bauernhöfen an den Torsäulen der Hofumzäunung zur Weihnachtszeit sehen: Es waren kleine, ungeschmückte Tannen- oder Fichtenwipfel. Der Stier trug früher manchmal eine „streberne" (aus Stroh geflochtene) Glocke an einem „strebernen Riam" (Riemen), in der ein hölzerner Klöppel schwang.
Früher wurden auch vermehrt Schweine auf die Almen getrieben, die für die Buttermilch- und Molkeverwertung zuständig waren. Wie den Stiertreiber gab es auch den "Sautreiber", der das Borstenvieh leitete. Sein Gesicht war geschwärzt, seine Kleidung bestand bisweilen aus "Graß" (Reisig). Er trug ein Säckchen Ofenruß mit sich. Wo er ein weibliches Wesen erspähte, das den festlichen Zug ansehen wollte, suchte er es zu haschen und zu schwärzen. Aus seiner Tasche teilte er aber „Raunkerln" (Almabtriebsgebäck) aus, und seine Stimmung hob sich unterwegs wohl durch den ständig angebotenen Schnaps. In den Eisenerzer Alpen nennt man das Almabtriebsschmalzgebäck "Säuerling" oder "Säuling".
Der "Ahrisäuling" ist einem Faschingskrapfen ähnlich. Wenn die Sennerinnen mit ihren Tieren das Dorf erreichen, dann haben besonders früher die aufgereihten Dorfbewohner alle nach dem Säuling gefragt.
Ein Brauch war auch der, dass, wenn während des Sommers jemand aus der Familie des Almenbesitzers gestorben war, die "Glockenkuh" als Zeichen der Trauer einen schwarzen Flor auf der Stirn trug.
Den Abschluß des Zuges bildete früher einmal gelegentlich ein sogenannter „Protzwagen", der mit Reisig, Zirbenkränzen und Flitter geschmückt war und das reinlich gescheuerte Almgerät und die gewonnenen Käse- und Buttermengen barg. Manchmal schlossen sich diesem Zug noch mehrere andere Wagen an.
Almabtrieb im Stubaital in Tirol (Bild: TVB Stubai Tirol)
Auf dem Weg nach unten verteilten die Sennerinnen Schmalzgebäck, Säulinge und Rumpelnudeln. Näherte sich die Kolonne dann dem Heimhaus, so wurde sie von den Daheimgebliebenen festlich mit Böllerschüssen, Musik und mit Peitschenknall, einem Rest alter Unholdenabwehr, empfangen.
Diese Rumpelnudeln waren auch Teil des Ernteschmauses: Nach der Ernte gab es einen festlichen Ernteschmaus, bei dem wie bei vielen bäuerlichen Festen reichlich Kuchen und Gebäck serviert wurden. Auch zum Almabtrieb wurden an vielen Orten "Brauchtumsgebäcke" verteilt. War der Sommer ohne „Unreim", d.h. ohne Unglück beim Vieh durch Krankheit, Absturz usw. glücklich vorbei, so dass es zur freudig-festlichen Almabfahrt kam, wurden von den Sennerinnen ein großer Wäschkorb von „Fedlkrapfen" gebacken. So wird im oberen Ennstal die traditionelle Almabfahrtskost bezeichnet.
Auch das „Fedlkoch" wird, wie das „Weinbeerlkoch", von der Sennerin zur Almabfahrt gekocht, oft schon acht Tage im voraus gemacht (bei Gebrauch mit etwas Milch aufgewärmt) und als Bewirtungskost und als Gabe für jeden in der Hofgemeinschaft des Heimhauses verteilt („fedeln, feteln" heißt in der Obersteiermark soviel wie „mit Hab und Gut übersiedeln").
Das Fedlkoch, auch Rahmkoch genannt, war eine alte Konservierungsmethode von Rahm auf den obersteirischen Almen. Es wird mit Rumrosinen, Zimt und Zucker bestreut. Die Hagebuttenmarmelade wird extra gereicht. Die ganzen Knödel können auch sehr gut eingefroren werden. Hier geht's zum Rezept >>>
Im Alpenraum unseres Landes war es auch Brauch, verschiedene andere Schmalzgebäcke wie "Abrausch", "Raunkerl" oder "Rumpelnudeln" herzustellen und während der festlichen Heimkehr des Almviehs von den Hochweiden auszuteilen. Diese Gebäcke erhielten teilweise je nach Region und Anlass unterschiedliche Namen.
Im oberen Murtal zum Beispiel wurden kleine Festtagskrapfen, auch "Rumpelnudeln", "Jungfernnudeln" oder "Prangnudeln" genannt, zum Almabtrieb zubereitet. Sie bestanden aus Mürbteig und wurden entweder von den Jungfrauen während der Fronleichnamsprozession oder von der Sennerin beim Almabtrieb verteilt. Der Name "Rumpelnudeln" entstand angeblich aufgrund ihrer Knusprigkeit, die dazu führte, dass sie in der Schüssel beim Schütteln ein "Rumpeln" erzeugten.
Rumpelnudeln, Gebäck beim Almabtrieb (Foto: UMJ/M. Zengerer)
Ein gemeinsames Kennzeichen fast aller Gebäcke, die nach einer Almzeit ohne Unglücksfälle verteilt wurden, war ihre Kleinheit und ihre Zubereitung in heißem (Butter-)Schmalz. Die verwendeten Teigarten reichten von Nudelteig über Germteig bis hin zu Mürbteig und Brandteig.
Auch im Dorf war alles auf den Beinen, denn schon lange zuvor verkündeten dumpfe Peitschenknalle und der taktmäßige, immer näher rückende Klang von Glocken das Herannahen der erwarteten Heimkehrer. Jetzt wurden sie sichtbar. In einem imposanten Zug, angeführt vom Senner, zog die Herde durch die Dorfgassen. Hausfrauen und Kinder, Knechte und Mägde, Freunde und Nachbarn eilten herbei, selbst steinalte Mütterchen humpelten aus ihren Stuben, die Freude verlieh ihnen Jugendlichkeit.
Über Almwege geht es talwärts; Straßenetappe im Salzkammergut; Almabfahrt in der Schweiz durchs Ortsgebiet
Nun wurden den Almtieren die großen Glocken und Verzierungen abgenommen, und sie wurden auf eine Wiese oder auf die Weide getrieben, damit sie sich an frischem Gras von den Anstrengungen des Tages erholen konnten.
Die Sennleute wurden mit einem Abendessen aus Kücheln, Krapfen und Schnaps bewirtet und setzten sich dann in die warme Stube, um das Ereignis noch einmal ausführlich zu besprechen. Danach kehrten sie ins Wirtshaus ein, wo sie sich bei Wein und Schnaps bis zum Morgengrauen vergnügten.
In vielen Regionen wird der Almabtrieb von einem Handwerks- und Bauernmarkt begleitet, gefolgt von ausgelassenen Feierlichkeiten mit Musik und Tanz. Dies ist ein Fest für Einheimische und Gäste, besonders aber für diejenigen, die von der Alm zurückkehren.
Heutzutage ist der Almabtrieb vielerorts zu einer Touristenattraktion geworden, bei der lokale Spezialitäten und Traditionen wie Almanudeln gefeiert werden.
Viehscheid
Im Frühherbst wird auf Gemeinschaftsalmen der Viehscheid durchgeführt, bei dem die Tiere ihren Besitzern am traditionellen Scheidplatz , meist eine große Wiese, die bereits über viele Generationen als Ort der Viehscheid gedient hat, zurückgegeben werden.
Almabtrieb vom Niederwechsel zur Vorauer Schwaig, wo seit langem der Viehscheidplatz ist. Die Kühe tragen richtige Kronen aus tradtionellen Almkräutern und -pflanzen, Beeren, Zapfen und Blüten. Die Vorauer Schwaig von oben gesehen zeigt den Viehscheiplatz nördlich der Hütten gelegen. (Bilder: Franz Josef Putz)
Dieser Akt wird oft einfach als "Scheid" bezeichnet. In verschiedenen Regionen gibt es regionale Unterschiede in den Festlichkeiten, wie etwa die Schur der im Dorf angekommenen Schafe im Schnalstal.
Viehscheid im Allgäu
Quellen
Gertrud Heß-Haberlandt, Das liebe Brot, 1960, S. 60.
Anni Gamerith, „Die Nahrung des steirischen Bauern“, in: Der steirische Bauer. Leistung und Schicksal von der Steinzeit bis zur Gegenwart, Kat. Steirische Landesausstellung 1966, Graz 1966, S. 361.
Ludwig von Hörmann, Das Tiroler Bauernjahr, Jahreszeiten in den Alpen, Innsbruck 1899, S. 111–123.
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