Heute feiern wir den Gedenktag des Heiligen Leonhard, dem Schutzpatron der Landwirte und des Viehs. Er lebte im 6. Jahrhundert in Frankreich und ist für seine Barmherzigkeit und Mildtätigkeit bekannt ist – insbesondere als "Kettenlöser" und und Befreier vieler Gefangener. So wurde die Kette zum Symbol des "Eisenheiligen", das sich in vielen Kettenkirchen und anderen kultischen Eisenobjekten wiederfindet. Die Kette steht auch insbesondere in Verbindung mit dem später aufgekommenen Viehpatronat des Heiligen. Um den 6. November werden daher insbesondere im süddeutsch-bayerisch-alemannischen und westösterreichischen Raum festliche Feierlichkeiten und Viehschutzrituale, wie der Leonhardiritt oder die Leonhardifahrt begangen.
Österreichischer Meister: Der Hl. Leonhard befreit Gefangene, ca. 1490
Leonhard von Limoges, auch bekannt als Leonhard von Noblat, wurde um 500 in Orléans, Frankreich, geboren. Als fränkischer Adelssohn verbrachte er einen Teil seiner Jugend am Hof der Merowinger. Später entschied er sich jedoch für ein Leben als Einsiedler und zog sich in die Abgeschiedenheit des Waldes Pauvin bei Limoges zurück, von dort aus predigte er und heilte die Krüppel und Hilfsbedürftigen, die zu ihm kamen. Regelmäßig besuchte er Gefangene und vermittelte ihre Freilassung beim König Chlodwig I. Es heißt, viele Gefangene riefen nach dem Namen Leonhards, woraufhin ihre Fesseln abfielen.
Eines Tages begaben sich der König und die Königin auf die Jagd in den Wald. Leonhard hörte die verzweifelten Schreie der Königin, die jäh von ihren Wehen überrascht wurde. Auf Bitte des Königs betete Leonhard am Lager der Königin, und sie brachte ihren Sohn sicher zur Welt. Als der König ihn mit Reichtümern belohnen wollte, bat Leonhard stattdessen um so viel Land, wie er mit seinem Esel in einer Nacht umreiten könne.
So gründete Leonhard in diesem Waldstück die Gemeinschaft von Noblat und das heutige Dorf St-Léonard-de-Noblat. Dort nahm er ehemalige Gefangene auf und bildete sie zu Handwerkern aus. Er leitete die Gemeinschaft bis zu seinem Tod und wurde bald als heilig verehrt.
St-Léonard-de-Noblat
Der Hl. Leonhard spielte eine bedeutende Rolle bei der Gründung eines Klosters in Noblat bei Limoges und wurde schließlich Abt dieser Gemeinschaft. Er verstarb im Jahr 559 (möglicherweise um 620) in St-Léonard-de-Noblat, Frankreich. Leonhard von Limoges hinterließ ein beeindruckendes Vermächtnis als Mönch und Klostergründer.
Verehrung
Der eigentliche Kult des Heiligen Leonhard begann im 11. Jahrhundert, nachdem seine Reliquien öffentlich ausgestellt wurden. Von Frankreich aus verbreitete sich seine Verehrung schnell nach Süden und Osten, was auch mit den Kreuzzügen in Verbindung stand, bei denen Leonhard aufgrund seiner Rolle als Schutzpatron der Gefangenen eine besondere Bedeutung als Fürsprecher erlangte. In dieser Funktion und später auch als Patron der Pferde und des Hornviehs wurden ihm hauptsächlich eiserne Weihegaben wie Hufeisen und Ketten dargebracht. Heutzutage werden ihm vor allem Votivtafeln und Kerzen gestiftet.
Hl. Leonhard, Sandsteinfigur um 1310, Würzburger Dom (Bild: Andreas Faessler)
Insbesondere in Bayern wird er sehr verehrt. Sein Einfluss und seine Verehrung manifestieren sich in über 150 Wallfahrten, die zu seinen Ehren stattfanden. Heutzutage werden immer noch mehr als 50 Leonhardifahrten abgehalten, die oft Pferde-Ritte beinhalten. Die größte dieser Wallfahrten findet in Bad Tölz statt. Die erste verbürgte Leonhardifahrt in Tölz fand 1772 statt, in ihrer heutigen Form jährlich seit 1856.
Historische Zeichnung der Leonhardifahrt von Tölz: Auf dem Höhenberg in Tölz soll einst ein "heiliger Baum" gestanden haben, der schon als Ziel eines heidnischen Umrittsbrauches diente. Wann die erste Wallfahrt zu Ehren Leonhards in Tölz stattfand, ist nicht gesichert. Als erster verbürgter Termin gilt der 6. November 1772, der im Verkündbuch der Pfarrei Tölz festgehalten ist. Damals „sprengten“ Reiter, Bauern und Bäuerinnen auf ihren Wägen noch „wild“ um die LeonhardikapelleFrühere Wallfahrten gelten zwar als wahrscheinlich, aber Votivhufheisen von 1719 oder ein Truhenwagen aus Gaißach von 1732 gelten nicht als sichere Beweise. Als wahrscheinlich gilt, dass die Viehseuche von 1743 den ersten Bittgang zur Kapelle der Schmerzhaften Muttergottes auslöste. (Bild: toelzer-leonhardifahrt.bayern/)
Im 19. Jahrhundert erreichte seine Verehrung in Bayern ihren Höhepunkt, und er erhielt Beinamen wie "bayerischer Herrgott" oder "Bauernherrgott". Die Tatsache, dass Leonhard zu den 14 Nothelfern in Bayern gehört, unterstreicht seine Bedeutung als Schutzpatron und Fürsprecher für die Gläubigen.
Die Verehrung des Heiligen Leonhard ist in volkstümlichen Bräuchen und Ritualen erkennbar. Er war ein Anlaufpunkt für körperlich und geistig Kranke sowie für Reisende, Pilger, Fuhrleute und Maultiertreiber. Viele Menschen brachten Opfergaben in seine Kirchen, wie die Salzfuhrleute aus Aussee, Steiermark, oder die Bergknappen in Zwickenberg, Kärnten, die dies besonders reichlich taten.
Leonhard wurde ursprünglich als Schutzpatron der Gefangenen angesehen, was sich in der Tradition zeigt, Kirchen, die ihm gewidmet sind, mit Ketten zu umspannen, wie es in Bad Tölz der Fall ist. Pilger brachten einst Pflugscharen als Gaben für ihre Wallfahrten mit, aus denen dann Ketten und massive Leonhardsnägel geschmiedet wurden. Leider wurden viele dieser Ketten und Nägel im aufklärerischen 19. Jahrhundert entfernt. Heutzutage sind nur noch einzelne Nägel, wie etwa jener an der Südseite der Kirche in Inchenhofen oder von Gabelbachergreut als letzte Überbleibsel dieser religiösen Tradition erhalten geblieben. Leonhardkirchen, die mit (Teilen von) Ketten umgeben sind, nennt man Kettenkirchen.
Leonhardsnägel
Der Leonhardsnagel ist ein seltener und bedeutsamer Kultgegenstand, der in Gabelbachergreut und in Inchenhofen nördlich von Augsburg in Bayerisch-Schwaben existiert. Dieser beeindruckende Nagel aus Eisen hat die Form eines spitz zulaufenden Nagels mit einem halbrunden Kopf und wiegt 116 kg bei einer Länge von über 90 cm. Er ist mit zahlreichen Gravuren versehen, darunter Namen, Ortsnamen und Jahreszahlen.
Leonhardsnagel in Gabelbachergreut in Schwaben (Bild: Gabelbachergreut.de; bearbeitet)
Es gibt verschiedene Theorien über seine Entstehung. Eine besagt, dass er als Dankeszeichen für die Überwindung einer Rinderpest zu Ehren des Heiligen Leonhards geschmiedet wurde. Eine andere Theorie verknüpft die Eisenketten und Fesseln, mit denen der Heilige oft dargestellt wird, mit diesem Nagel. Eine weitere Annahme besagt, dass der Nagel ein Geschenk der Gemeinden Agawang und Maingründl war, die beim Kirchbau von 1737 geholfen haben.
Die am häufigsten akzeptierte Erklärung besagt, dass der Nagel zu Beginn des 17. Jahrhunderts von einem Schmied (möglicherweise aus Gabelbachergreut) aus Votivgaben von Wallfahrern, wie Hufeisen und Hufnägeln, geschmiedet wurde. Dieser Nagel hatte eine tiefe kulturelle und religiöse Bedeutung und zeugt von der Verehrung des Heiligen Leonhard in der Region.
Aus: Bilder-Lexicon Kulturgeschichte (Verlag für Kulturforschung, Wien and Leipzig, 1928)
Der Nagel wurde auch als Kraftmesser von jungen Männern verwendet, die versuchten, ihn zu "lupfen" und zu tragen. Gelegentlich wurde er ins Wirtshaus geschleppt, wenn Freibier als Belohnung in Aussicht gestellt wurde. Dieser Akt diente auch als Buße und Gewissensprüfung, da nur diejenigen, die frei von schwerer Sünde waren, ihn ausführen konnten.
Leonhardiritt Gabelbach: In der Pfarrkirche von Wörleschwang befindet ein Leonhardsnagel aus dem frühen 18. Jahrhundert. Dieser einzigartige Nagel wiegt 116 kg und misst über 90 cm in der Länge. Er ist mit zahlreichen Gravuren versehen, die vermutlich von Wallfahrern stammen. Seit 1990 wird in Gabelbachergreut wieder ein Leonhardiritt veranstaltet, der auf eine alte Pferdewallfahrt zurückgeht. Im Jahr 1996 nahmen rund 100 Pferde und 20 Gespanne an dieser traditionellen Veranstaltung teil. (Bild: Markt Zusmarshausen: treffpunktdeutschland.de/)
Es wurde auch von einer möglichen fruchtbarkeitskultischen Bedeutung berichtet, bei der Heiratswillige und Unfruchtbare den Brauch ausübten. Der Heilige Leonhard galt an einigen Orten als Fruchtbarkeitspatron, und aufgrund seiner phallischen Form wurde der Nagel als Symbol der Fruchtbarkeit verehrt. Nach der Barockzeit verbot die Kirche "obszöne Gegenstände" wie den Leonhardsnagel. Der Nagel hatte in der Geschichte verschiedene Standorte und ist mit zahlreichen Inschriften versehen, von denen einige aufgrund von Rost und Abnutzung nicht mehr lesbar sind. Es wird auch behauptet, dass Gebete in den Nagel eingeschmiedet wurden.
In Österreich wurden Eisenklötze, vermutlich alte Votivgaben, zu Ehren des Heiligen Leonhard als Gewissensprobe und in Heiratsanliegen von Männern "geschutzt". Diesen Brauch gab es in St. Leonhard bei Villach, St. Leonhard bei Sarleinsbach in Oberösterreich und in Grödig im Salzburger Land. Nach landläufiger Meinung konnten Heiligenfiguren nämlich nur von sündenfreien Personen gehoben werden. Solche Hebekulte gab es in Österreich und Bayern mehrere.
Kettenkirchen
Die Kettenkirchen sind eine seltene Form der Kirchengestaltung, die noch vereinzelt in Bayern und Österreich zu finden ist. Diese Kirchen werden entweder dauerhaft oder zeremoniell mit eisernen Ketten umspannt. Die Kirchen, die in Mitteleuropa mit Ketten geschmückt oder als Kettenkirchen bekannt sind, sind grundsätzlich und ohne Ausnahme Leonhardskirchen, die dem Heiligen Leonhard gewidmet sind.
Es gibt historische Belege, dass ein Flüchtiger innerhalb des Kettenumspannungsbereichs der Kirche, dem sogenannten Kettengürtel, vor dem Ergreifen sicher war (Asylrecht), wie dies z.B. 1406 für den ganzen Wallfahrtsort Inchenhofen (s.o.) bestand.
Laut Legende half er einer Merowingerkönigin bei der Geburt und erbat als Gegenleistung die Freilassung von Gefangenen (und ein Stück Land). Dadurch wurde er zum Schutzpatron aller, die in Ketten liegen.
Da die Kette auch als Viehkette angesehen wurde, wurde Leonhard auch als Schutzpatron für Bauernangelegenheiten wie Vieh und Wetter verehrt. Dies zeigt sich in Volksbräuchen wie den Leonhardifahrten oder Leonardiritten mit Pferdesegnungen (s.u.) sowie eisernen Votivgaben in Form von Tieren.
Die eisernen Votivgaben wurden früher in Ketten umgearbeitet und um die Kirchen gespannt. Dieser Brauch diente der Abwehr von dämonischem Einfluss. Einige der Kettenkirchen, die dem heiligen Leonhard gewidmet sind, befinden sich in verschiedenen Regionen, darunter Bayern, Südtirol, Baden-Württemberg und Salzburg. Die älteste Kettenkirche befindet sich in Österreich in der Pfarrkirche St. Leonhard im Lavanttal, Kärnten.
Kettenkirchen im Ostalpenraum nach Kretzenbacher 1954, S. 167.
In der Steiermark gibt es keine einzige Kettenkirche, obwohl es im Gebiet der Diözese Seckau zwölf Leonhardspfarren oder -Filialkirchen gibt.
Kettenkirche St. Leonhard im Lavanttal: Die Ursprünge der Kirche gehen auf eine Leonhardskapelle mit dem Namen "capella sancti Leonardi in Gaminare" zurück, die zwischen 1106 und 1139 vom Bamberger Bischof Otto I. gegründet wurde. Diese Kapelle entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer bedeutenden Wallfahrtskirche. Wallfahrer aus Kärnten und der Obersteiermark besuchten die Kirche hauptsächlich, um den Heiligen Leonhard um Fürbitte gegen Krankheiten bei Mensch und Vieh sowie um Befreiung aus der Gefangenschaft zu bitten. Sie brachten eiserne Votivgaben mit, die Menschen und Tiere in schlichten Formen darstellen. Die Hauptwallfahrtstage sind der Pfingstmontag und der 6. November. Die Tatsache, dass die Kirche außerhalb der Stadt liegt, könnte auf die Pflege einer alten Kultstätte hinweisen, die später eine christliche Bedeutung erlangte. (Bilder: Kirche Nordansicht; Westportal, Südportal jeweils mit Leonhardikette)
Dazu existiert auch eine Sage:
DIE KETTE VON ST. LEONHARD
Als die Türken im Jahre 1480 bis in das obere Lavanttal streiften, fesselten sie in Obdach einen Bauern namens Sturm an den Schweif eines Pferdes und führten ihn mit sich. In der Gegend, wo jetzt im sogenannten Zankergrund ein Kreuz steht und man die Kirche St. Leonhard zuerst erblickt, machte der Gefangene das Gelübde, im Falle seiner Befreiung eine Kette verfertigen zu lassen, die zweimal diese Kirche umziehen sollte. Er wurde erhört. Unbemerkt von seinem Führer lösten sich seine Bande und es gelang ihm, im Gesträuch zu entkommen. Der glücklich Befreite hielt getreulich sein Gelübde, ließ eine Kette anfertigen, von der jedes Glied einen Schuh lang war, und bestimmte, daß die Nachkommen seiner Familie für die Erhaltung derselben sorgen oder, so oft sie durch ein Jahr keiner Ausbesserung bedürfte, ein Opfer von fünf Groschen entrichten sollten. So geschah es auch immer.
(Quelle: sagen.at; Pehr 1912.)
Die Sage berichtet auch an anderen Orten immer wieder von Schmieden, die die von Fuhrleuten und Säumern geopferten Hufeisen zusammenschmieden oder die Ringvotive in die Arbeit der Schmiedegesellen einfügen. Oft werden die Ketten in Verbindung mit historischen Ereignissen gebracht, die die Beziehung zu den Türken oder Pferden betreffen, gelegentlich sogar mit beiden Elementen.
Liste weiterer Kettenkirchen:
Bad Tölz (Bayern), Leonhardifahrt seit 1856
Barbian-Kollmann (Südtirol)
Gellmersbach (Baden-Württemberg): Leonhardskirche
Grafing bei München (Bayern)
Großmehring-Tholbath (Bayern)
Hüfingen (Baden-Württemberg)
Inchenhofen (Bayern)
Kaltern-Unterplanitzing (Südtirol)
Leogang (Salzburg)
Margreid-Unterfennberg (Südtirol)
Michelfeld (Baden-Württemberg)
Pasenbach (Bayern), mit Leonhardi-Umritt
Pfronten-Heitlern (Bayern), Kette teilweise erhalten
Pilsting-Ganacker (Bayern)
Ritten-Oberinn (Südtirol)
St. Leonhard ob Tamsweg (Salzburg)
Kettenkirchen bzw. Kirchenumgürtungen (zum Teil auch Altarumgürtungen) aus Eisen, Wachs, Seide, Wolle oder Leinen waren in mehreren Teilen Europas und Syriens zu finden sind, und haben zum Teil bis zur Gegenwart Bestand. In Serbien und Makedonien gibt es Kirchengürtungen als einen Volksbrauch, und es existieren auch Resterinnerungen an die Kirchengürtebräuche in Teilen des kroatisch-slowenischen Nordwestbalkans. Der berühmte französische Volkskundler und Kulturhistoriker Arnold van Gennep brachte die bayuwarisch-alemannischen Leonhardskirchen bereits 1907 in einem Essay über "Kirchengürtungen" (La ceinture de l'eglise) in Verbindung mit westeuropäischen, französischen und orientalisch-syrischen Traditionen. Van Gennep verweist auf bretonische Lieder, die ähnliche rituelle Gürtungen für Kirchen verwenden, jedoch mit weniger dauerhaftem Material wie Wachsfäden und dünnen Bandkerzen. Dies erinnert an christliche Volksriten, auf die Liebrecht bereits 1863 hingewiesen hatte. In diesen Ritualen verpflichteten sich Menschen in Todesnot durch ein Gelübde, die Kirche des angerufenen Schutzheiligen mit Wachsschnüren zu umgürten. Van Gennep erwähnt jedoch nicht Felix Liebrecht, der bereits zuvor auf diese Praktiken hingewiesen hatte. Aus Frankreich stammen folgende Sagen- und Liederelemente:
Eine Mutter, die neun Söhne durch die Pest verloren hat, fleht zu Gott und verspricht, seine Kirche dreifach mit Wachs zu umgürten, wenn er ihr ihre Söhne zurückgibt.
Eine schwangere Frau in Lebensgefahr ruft den Heiligen Mathurin an und verspricht, seinen Friedhof und seine Kirche bis zum Kreuzesstamm dreifach mit Wachs zu umgürten, um sie und ihr ungetauftes Kind zu retten.
Jakobspilger Jean Derrien, der auf seiner Pilgerreise von einem Türken bedroht wurde, flehte seinen Schutzheiligen um Rettung an und betonte dabei seinen rechtmäßigen Anspruch auf Schutz als Pilger, indem er versprach, den gesamten Kirchenbereich ein- oder zweimal mit Wachs zu umgürten.
M. Sebillot berichtete mündlich, dass er selbst im Jahr 1863 Kirchen gesehen hat, die dreifach mit Wachs umgürtet waren, in der Gegend von Guingamp in der Nähe der bretonischen Nordküste im Département Côtes-du-Nord.
Adam von Bremen schrieb in seiner "Hamburgischen Kirchengeschichte" zwischen 1074 und 1076 über den Tempel von Upsala, dass dieser von einer goldenen Kette umgürtet sei, die sich über die Dächer erstreckt und weithin leuchtet, weil der Tempel selbst in einer Ebene liegt und von Bergen umgeben ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl im frühen Mittelalter als auch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zeitgenössische Ketten- und Fadengürtungen von Kirchen oder Kultsteinen – zeitgleich im christlichen Abendland und im Nahen Osten – existierten. Diese Praxis war in verschiedenen Regionen Europas verbreitet, darunter in den Ostalpenländern und ihren Vorlanden, in Skandinavien, in Frankreich, in Spanien und auf dem Zentral- bzw. dem Nordwestbalkan.
Kirchengürtungen in Europa nach Kretzenbacher 1954, S. 189.
Die Wallfahrtskirche von St. Leonhard zu Murau
Die kleine Leonhardikirche befindet sich am Südrand von Murau und steht auf einem bewaldeten Bergrücken in der Nähe der Burg Grünfels. Die Kirche wurde an der Stelle der ehemaligen Burgkapelle St. Katharina erbaut und war bereits 1439 als Wallfahrtskirche bekannt. Ein im 17. Jahrhundert verfasstes Mirakelbuch enthält Berichte über Wunder und Wunderheilungen in der Leonhardikirche. Diese Handschrift umfasst die Jahre 1439-1450 und 1626-1660 und dokumentiert die frühe Verehrung des Heiligen Leonhard in der Steiermark, der als Viehpatron bekannt und sehr beliebt ist.
In der dreiseitigen Einleitung zu den Mirakelberichten wird über die Wunder, die in der Leonhardikirche geschehen sind, berichtet. Berichte über Wunder im gesamten 16. Jahrhundert fehlen, was wahrscheinlich mit der Reformationszeit in Murau zusammenhängt. Während dieser Zeit gab es keinen Wallfahrtszuzug zur Kirche St. Leonhard, wodurch auch die Mirakelberichte fehlen. Diese Informationen basieren auf Georg Göth's Aufzeichnungen im 3. Band des Herzogtums Steiermark aus dem Jahr 1843.
St. Leonhard zu Murau (Bild: outdooractive.at)
Wie oben dargestellt, war es ein häufiger Brauch, dem Hl. Leonhard geweihte Kirchen mit großen Ketten zu umspannen oder im Inneren Ketten als Votivgaben ehemaliger Gefangener aufzuhängen. Diese Tradition soll auf vorchristliche Ursprünge zurückgehen, da bereits germanische Opferstätten zum Schutz vor dämonischen Einflüssen mit Ketten oder Schnüren umspannt wurden.*
Im kleinen Leonhardskirchlein in Murau sind Kettengürtungen nicht bekannt. Allerdings gibt es im Mirakelbuch 44 Eintragungen aus dem Zeitraum 1443-1448, in denen elf Wunderberichte dokumentiert sind, in denen der Heilige Leonhard als Befreier von Gefangenen fungiert. In späteren Aufzeichnungen des 17. Jahrhunderts fehlen solche Berichte vollständig.
Im Jahr 1446 werden gleich drei Befreiungen von Gefangenen durch den Heiligen Leonhard in Murau berichtet. Im Jahr 1447 gibt es Berichte von vier weiteren Gefangenenbefreiungen. Ein Mann aus St. Leonhard im Lavanttal berichtet im gleichen Jahr 1447 von seiner wunderbaren Befreiung aus Hand- und Fußfesseln durch den Heiligen Leonhard. Im Jahr 1448 wird von einer letzten Gefangenenbefreiung durch den Heiligen Leonhard berichtet.
Die Wunderberichte aus den Jahren 1443-1448, in denen der Heilige Leonhard als Befreier von Gefangenen genannt wird, enden im Jahr 1450. Erst 176 Jahre später, ab dem Jahr 1626, werden wieder 10 Wunderberichte verzeichnet, die aber hauptsächlich Krankheitsfälle und einen Unglücksfall betreffen. Die hilfesuchenden Personen in diesen Berichten nach 1626 stammen ausschließlich aus Murau oder der unmittelbaren Umgebung der Stadt, während jene zuvor aus einem weiten Einzugsgebiet stammen, wie etwa aus Voitsberg, Tamsweg, Schöder, Hüttenberg, Weitensfeld, Neumarkt, St. Georgen ob Murau, Lind bei Scheifling, Waitschach, Lölling bei Althofen, Rantner Pfarr, Villach, Gurk, ja sogar aus Wien und Zwettl.
Die Burg Grünfels wurde am westlichen Rücken des Leonhardiberges in unmittelbarer Nähe der Leonhardikirche errichtet und wurde erstmals 1366 erwähnt. Ursprünglich war sie eine Wehranlage, bestehend aus einer Burgkapelle, einem Wehrturm, Wohngebäuden und wurde von einer Mauer umgeben. Südlich der Burg befand sich ein Burggraben. (Bild: outdooractive.at)
Eine letzte wunderbare Begebenheit in der Leonhardikirche in Murau wird in einem Eintrag vom 15. August 1729 berichtet. Dabei handelt es sich um die Befreiung aus der Gefangenschaft, bei der der Heilige Leonhard als "Kettenlöser" eine besondere Bedeutung erhält. In den Berichten des 15. Jahrhunderts wird er als Befreier von Gefangenen, Helfer bei Schiffbrüchen und Wassernöten erwähnt, während er im 17. Jahrhundert in verschiedenen Situationen, einschließlich Krankheitsfällen und Geburtsnöten, als Helfer auftritt.
Im Gegensatz zum älteren Heiligtum des "Großen St. Leonhard" in der Wallfahrtskirche in Tamsweg, wo keine schriftlichen Mirakelaufzeichnungen erhalten geblieben sind, sind die Wunderberichte des "Kleinen Leonhard" in der Wallfahrtskirche in Murau von besonderem Interesse. Diese Berichte, die teilweise erst zu späteren Zeitpunkten nach alten Vorlagen niedergeschrieben wurden, bieten Einblicke in das Leben und die Sorgen der hilfesuchenden Menschen in dieser steirischen Region und den angrenzenden Ländern, insbesondere aus Salzburg und Kärnten.
Es fällt auf, dass in den Mirakelberichten des 15. und 17. Jahrhunderts der Heilige Leonhard noch keine Rolle als Viehpatron spielt. Im sogenannten Leonhard-Heiligtum wurden lebendige Tieropfer dargebracht, hauptsächlich in Form von Haustieren. Im 17. und 18. Jahrhundert bestanden diese Opfer in den meisten Fällen aus Geflügel.
Leonhard und die Pferde
Leonhardiritte und Leonhardfahrten sind traditionelle Veranstaltungen, die alljährlich am oder um den 6. November stattfinden. Dabei werden geschmückte Pferde dreimal um die Kirche geritten und gesegnet, oft mit einer geweihten Maulgabe, wie dem Leonhardibrot. Bei diesen Veranstaltungen nehmen zahlreiche Brauchtumsgruppen, örtliche Vereine und Besucher aus nah und fern teil.
Anichtskarte Bad Tölz, Leonhardifahrt, 1915 bis 1930
Die Tradition des Leonhardirittes hat ihre Ursprünge in der Verehrung des Heiligen Leonhard, der als Patron der Pferde und des Hornviehs gilt. Als Weihegaben wurden ihm früher vor allem eiserne Gegenstände wie Hufeisen und Ketten dargebracht. In einigen Gemeinden werden auch Leonhardibuschen und geschmückte Holzstangen, die sogenannten Leonhardistangen, gezeigt.
Die Pferde werden für den Leonhardiritt geschmückt und richtig herausgeputzt.
Obwohl die Bedeutung des Leonhardirittes zwischenzeitlich durch die Mechanisierung in der Landwirtschaft abnahm, wird der Heilige Leonhard, auch als Rossheiliger bekannt, heute im Rahmen des Bauernherbstes in vielen Orten in Salzburg, Bayern und anderen Regionen bei traditionellen Festen geehrt. Tiersegnungen bei den Leonhardifesten unterstreichen die Wertschätzung der Tiere, insbesondere der Pferde, als Last- und Arbeitstiere für die ländliche Bevölkerung.
Der bislang älteste urkundlich erwähnte Leonhardiritt, der erstmals 1442 dokumentiert wurde, findet in Kreuth am Tegernsee statt.
Namensbedeutung
Der männliche Vorname Leonhard leitet sich aus dem Althochdeutschen von „le(w)o“ für Löwe und „harti“ für „hart, kühn, mutig“ ab. Deshalb lässt er sich mit der „der Löwenstarke“ übersetzen. Auch als „der fest Entschlossene / der Kühne / der Mutige“ wird Leonhard gedeutet.
Attribute und Darstellung
In der Kunst wird Leonhard früh dargestellt. Vom Ende des 13. Jahrhunderts stammt die Plastik aus dem Würzburger Dom, die Leonhard mit seinen maßgebenden Attributen zeigt: Abtstab, Kette und Buch. Weitere Darstellungen: als Mönch oder Abt mit Kette, Pferde und Ochsen, Gefangene befreiend
Patron
von St. Leonhard bei Salzburg und Verbania-Palanza;
der Bauern und des Viehs, vor allem der Pferde, der Ställe, Stallknechte, Fuhrleute, Schmiede, Schlosser, Wassertäger, Lastenträger und Böttcher, Kesselschmiede Obsthändler, Bergleute; der Wöchnerinnen, Gefangenen; für alle Anliegen der Bauern, gute Geburt, bei Entbindungen; gegen Kopfschmerzen, Geistes- und Geschlechtskrankheiten
Bauernregeln
Wenn auf Leonhardi Regen fällt, ist’s mit dem Weizen schlecht bestellt.
Wie’s Wetter an Lenardi ist, bleibt’s bis Weihnachten gewiss.
Nach der vielen Arbeit Schwere, an Leonhardi die Rösser ehre.
Der heilige Leopold ist oft noch dem Altweibersommer hold.
Bedeckt an Leonhard schon Eis den Teich, wird der Januar nass und weich.
Quellen
G r a b n e r , Elfriede: Sankt Leonhard als „Steirischer Nothelfer". Ein lange als verschollen geglaubtes Mirakelbuch und seine Wunderberichte aus dem 15. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark Jahrgang 100 (2009).
*K r e t z e n b a c h e r , Leopold: Die Ketten um die Leonhardskirchen im Ostalpenraum. Kulturhistorische Beiträge zu Frage der Gürtung von Kultobjekten in der religiösen Volkskultur Europas. In: Kultur und Volk. Festschrift f. G. Gugitz zum achtzigsten Geburtstag, Wien 1954. S. 165-202.
P e h r , Franz: Kärntner Sagen. Klagenfurt 1913, 5. Auflage, Klagenfurt 1960, Nr. 28, S. 64.
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