In der letzten Rauhnacht vom 5. auf den 6. Jänner – der Dreimulnåcht – zieht ein altes und gebücktes Weiblein mit einem Kopftuch, tief ins Gesicht gezogen, durch die winterliche Gegend, klopft an die Haustüren. Stillschweigend und wortlos sieht es nach, ob die Stube sauber gekehrt ist und Ordnung herrscht, dann streut sie wortlos Äpfel, Mandarinen, Nüsse und Süssigkeiten auf den Fußboden und geht wieder. Heute kennen nur noch die alten Jogler diesen Brauch und in so manchen Bauernstuben wird den kleinen Joglern die Geschichte von der Pudelmutter erzählt. Ganz ruhig wird es dann um den Tisch...
Zwei Budelmuattan unterwegs in Schachen bei Vorau (Bild von Franz Josef Putz)
Die letzte der zwölf Rauhnächte, die Dreimulnåcht, ist bei uns die stärkste und wichtigste aller Rauhnächte. Als Kind erkannte ich diese besonderen Tage immer daran, dass es nur eine kleine Speise zu Mittag gab, da das gute, feierliche Essen erst am Abend stattfand. Das war zu den besonderen Rauhnächen an Heiligabend, Silvester und der Dreimulnåcht sowie am Karsamstag eine dicke Suppe. An solchen Tagen stieg dann bereits die Spannung zu Mittag, was am Abend passieren würde!
Freilichtmuseum Vorau mit typischer Haus- und Hofbauweise im Joglland
Dreimulnåcht – Rach'n geh'n
Das Geschehen in der Dreimulnåcht beginnt in der Abenddämmerung. An diesem Tag können die Tiere im Stall wie am Heiligen Abend und zu Silvester sprechen. Schon bevor die Dämmerung einsetzte, riefen der Vater oder die Mutter damaös die Familie zusammen. Dann sind wir "Rach'n gaungan" (Ausräuchern) und haben gebetet. Dafür bereitete die Mutter das Räuchergefäß vor: Dieses war eine alte große Öldose, aus der sie einen kleinen Ofen baute, ihn mit Glut aus dem Ofen und etwas Kohle befüllte und ihn zum "Rauchen" brauchte, indem sie ihn ständig schwänkte. Sie gab auch ein paar Zweigerl vom zu Ostern geweihten Palmbesen und vor allem Weihrauch dazu. Sofort stieg uns ein feierlicher Geruch in die Nasen. Wir hatten damals, obwohl wir regelmäßig "Rach'n gingen", keine Räucherpfanne oder einen Weihrauchschwenker.
Sehr schöne Räucherpfanne aus der Steiermark (Murtal)*
Die Großmutter bereitete den "Weihbrunn" vor: Weihwasser gab und gibt es bei uns zu Hause immer, meine Oma hatte dafür eine schöne, große Glasflache. Sie schüttete etwas in ein Küberl und holte ein kleines Tannenzweigerl zum Versprengen. Man sieht, es dauert einige Zeit, bis alles zum Rach'n fertig ist, deshalb darf man nicht zu spät mit den Vorbereitungen beginnen; jedenfalls muss noch bei Tageslicht und zu Dämmerungsbeginn gestartet werden.
Nun setzte sich der feierliche Zug in Bewegung: Bei uns war immer der Großvater, solange er lebte, der Vorbeter, später mein Vater. Es wurden alle Räumlichkeiten (Haus, Stall, Tenne, Grédn etc.) ausgeräuchert und dabei ein Rosenkranz gebetet. Die Mutter schwenkte den Räucherbehälter und die Großmutter besprengte die Räume, Tiere und alle anwesenden Personen mit Weihwasser. Besonders spannend war es im Stall, da ich die Tiere reden hören wollte. Da hat das Beten dann ein wenig gestört, da die Tiere nur dann sprechen, wenn alles still ist und sie ungestört sind.
Verschneites Joglland im Jänner
Freilichtmuseum Vorau mit Friedhofskirche
Das Rach'n und Beten wird mit großer Ernsthaftigkeit und Andacht begangen und ist eine hauseigene Angelegenheit, bei der Fremde, die nicht dem Haushalt oder der näheren Verwandtschaft angehören, nicht teilnehmen. An diesem Tag zu dieser Tageszeit ist auch nie jemand zu Besuch oder einfach so vorbeigekommen, wie es sonst in den Weihnachtsfeiertagen oft der Fall war. Unser Haus war zu dieser Zeit sonst immer voll von Besuch von Verwandten und Nachbarn, oder auch Vertretern, die eine Bouteille Wein und einen neuen Kalender brachten.
Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens heißt es 1936 zum Räuchern:
„Eine Ausräucherung des Hauses wird in vielen katholischen Familien öfters im Jahre vorgenommen, besonders an den Vorabenden hoher Feste, in manchen Häusern sogar alle Samstage. In Niederösterreich bezeichnet man als Freinächte , Rauchnächte oder schwarze Nächte: Thomas, Nikolaus- Christnacht, Dreikönige, Fastnacht , Walpurgis-, Andreas-, Hubertusnaht und St. Ruprecht.“
und
„Die letzte (Anm.: Rauhnacht=Dreikönigsnacht) ist besonders wichtig. Sie heißt im Böhmerwald ,Foast-Rauhnacht‘, weil es da recht fettes Schweinefleisch zu essen gibt.“
Bei uns gibt es den Foastpfingsta. Dazu werde ich zur gegebenen Zeit auch berichten!
Rach'm im Stall
Dreimulnåcht – Das Essen
Nach dem Räuchern und Beten kommt eine besondere Bedeutung dem Essen zu: Eigentlich ist es das feierlichste Abendessen im Jahr, da am Heiligen Abend bei uns das Abendmahl zwar festlich, aber kalt ist. Zu Silvester wird auch warm gegessen, aufgrund der ausgelassenen Stimmung und der fehlenden Andacht ist es aber nicht so feierlich.
Für die Speisen und die Speisenabfolge gibt es in der Dreimulnåcht genaue Vorgaben: Wie der Name bereits verrät, werden drei (warme) Gänge serviert. Die Speisen müssen in klarer Flüssigkeit „schwimmen“ bzw. getränkt und üppig sein.
Bei dem festlichen, dreigängigen Mahl werden bei uns gern serviert: eine klare Suppe mit Einlage, eine Hauptspeise (gekochtes Geselchtes, „Würstlbraten“, Rindsrouladen o.Ä.) und eine Nachspeise, die ebenfalls warm und getränkt („Bsoffene Liesl“) oder sehr üppig ist (Cremetorte, Brandteigkrapferl mit Schlag).
Danach gibt es ein geselliges Beisammensein, und oft wurde dann Karten gespielt (Tarock).
Typische Speisefolge in derDreimulnåcht
Zur Herkunft des Wortes „Dreimulnåcht“
Lange Zeit habe ich mir Gedanken über die Dreimulnåcht gemacht und woher das Wort kommt. Es war ja naheliegend, dass es mit den drei Speisen zu tun haben musste. Nur dass man bei uns im Dialekt zum Mahl nicht Muhl sagt, sondern Måhl. Dann müsste es ja Dreimåhlnacht heißen. "Drei mul" sagt man zu drei mal, also drei mal wird gegessen, was ja auch stimmt.
Dann fand ich einen Eintrage in der Zeitschrift für osterreichische Volkskunde. Organ des Vereins für österreichische Volkskunde in Wien. Redigiert von Dr. Michael Haberlandt. II. Jahrgang 1896. Dort war zu lesen:
„In den nordöstlichen Gegenden der Steiermark heißt die Dreikönigsnacht auch die ,Reichmahlnacht‘, und herrscht dortselbst noch vielfach der Brauch, dass den Dienstleuten an diesem Abende ein reiches Mahl aufgetischt wird, meist aus drei Speisen, darunter auch Braten, bestehend. Den Dreikönigstag selbst nennt man in Pöllau und Vorau herum den ,Sieben‘- oder auch ,Neunrichteltag‘, weil an diesem Tage das Mahl aus sieben oder neun Gerichten besteht.“
Die Dreimulnåcht hat also früher auch Dreirichteltag oder Reichmahlnacht geheißen.
Die Dreikönigsnacht wurde früher als ‚Gebnacht‘ bezeichnet. Die Gebnacht ist eine Nacht, in der man den Wesen der Mittwinterzeit, meist der Percht, Speisen oder Milch(brei) (‚Bertlmilch‘) aufstellt(e). Bei uns gab es das aber nicht, denn meine Mutter ist nicht abergläubisch.
Sog. Berchtmilch oder Pertlmilch
Weiter schreibt Peter Rosegger in Spaziergänge in der Heimat, 1894 über die Dreikönigsnacht im Joglland:
„An den Festen ist die Kost sehr üppig, so wird gesagt, dass am Dreikönigsabende in jedem Hause neun verschiedene Koch (Breigerichte) verzehrt werden müssten; vor Zeiten sollen die Jockler an diesem Abende nicht weniger als drei Mahle genossen haben, wovon die Dreikönigsnacht noch heute die Dreimahlnacht heißt.“
Der im Perchtmahl steckende Löffel wurde mancherorts als (Löffel-)Orakel in den sogenannten Lö[oe]selnächten (Losnächten) verwendet, zu welchen neben der Silvesternacht und dem Heiligen Abend auch die Dreikönigsnacht zählt.
In München wurde früher am Marienplatz die Dreikönigsdult (sog. Gebnachtdult) abgehalten, und in Villach findet seit 1432 alljährlich der Dreikönigsmarkt statt. Damals wurde er als Kathreinmarkt abgehalten und entwickelte sich von einem Vieh- zu einem Krämer- und Kleinhändlermarkt weiter, der er heute noch ist. Als erste Veranstaltung des Jahres wird dem Dreikönigsmarkt von den Beschickerinnen und Beschickern große Symbolkraft zugeschrieben:
„Bringt der Markt gute Geschäfte, sollen angeblich auch die übrigen Jahresmärkte sehr einträglich sein".
Villacher Dreikönigsmarkt (Quelle: villach.at)
Budelmuada
Wer aber denkt, dass die Dreimulnåcht mit dem Rach' gehn, guten Essen und Kartenspielen schon zu Ende sei, der irrt.
Alte Darstellung der Budelmuada, Jahr und Künstler unbekannt
Denn dann erscheint oft noch eine besondere Gestalt – die Budelmuada.
Sie wird auch Budelfrau, Budelweib oder Budelnandl genannt und auch mit P statt B geschrieben. Sie ist eine alte, bucklige Frau und erscheint in der Dreimulnåcht zumeist nach dem Essen. Die Budelmuada trägt einen weiten langen Rock, ein Kopftuch – alles in dunklen Farben. Sie darf keinesfalls erkannt werden; das Kopftuch hat sie so ins Gesicht gezogen und sie geht in so gebückter Haltung, dass man ihr Geschicht nie zu sehen bekommt. Sie spricht niemals – zumindest nicht in unserer Gegend. Andernorts entbietet sie gute Wünsche fürs neue Jahr mit den Worten
„Griaß enk, i bin die Pudelmuatta. I wünsch' eich a guat's neich's Johr und bleibt's schai gsund!“
Die Budelmuada trägt in der Schürze oder in einem Sack, Korb oder Bute Äpfel, Nüsse, Mandarinen und Süßigkeiten (oft noch vom Christbaum) mit sich und lässt diese stumm auf den Boden der Stube pudeln. Sie klopft mit einem Stock oder Besen die Ecken der Stube aus, damit vertreibt sie die bösen Geister. Manchmal trifft sie dabei "versehentlich" das Bein eines am Tisch Sitzenden. Ihre Ausstrahlung ist aber meist „gutmütig und geheimnisvoll“.
Natürlich kann die Budelmuada auch vor dem Essen zu Besuch kommen, sie kann ja nicht überall gleichzeitig sein!
Die Gaben der Budelmuada sind jenen des Nikolaus sehr ähnlich
In manchen Ortschaften betritt die Pudelmutter das Haus erst, wenn die Lichter ausgeschaltet sind. In der finsteren Küche oder Stube schüttet sie dann ebenfalls ihre Gaben auf den Boden. Dadurch ist ist natürlich noch schwerer zu erkennen.
Die Zuckerl und anderen Gaben werden auch noch mit dem Besen herumgewischt. Damit sollen die bösen Geister vertrieben werden. Danach werden die Naschereien von den Kindern aufgesammelt und oft gleich gegessen.
Darstellung der Budelmuada, Künstler und Alter unbekannt
Die Budelmuada erscheint nicht nur im Joglland (Wenigzell, Fischbach, Vorau usw.) auch im angrenzenden Burgenland und Niederösterreich (sogennantes Dreiländereck) tritt sie auf. Auch in Weiz, Oberdorf bei Weiz, im Feistritztal, in der Gasen, in St. Kathrein am Offeneck, Fladnitz, Schildbach bei Hartberg und vielen anderen Orten kommt die Budelmuada am Dreikönigsabend ins Haus. Ihr Erscheinen ist aber auf den (nörd-)östlichen Teil der Steiermark beschränkt – in der West-, Süd- und Obersteiermark kommt sie meines Wissens nach nicht.
V.l.n.r.: Weizer Budlmuattan mit Maske, Budlmuada in Schildbach und Budlmuattan aus Gasen.
Dass die Budlmuada eine Maske trägt, ist eine neuere Erscheinung, sie muss aber trotzdem gebückt gehen.
Woher kommt aber der Name der Budelmuada und was hat es mit dem "pudeln" auf sich?
Der Name der Budelmuada und das "Einipudln"
Budeln und pudeln, das sind alte Wörter, die heute nicht mehr häufig vorkommen, am ehesten wohl noch im Zusammenhang mit der Budelmuada. Ich kann mich erinnern, dass wir im Herbst beim Fallobstklauben oft Schürzen anhatten, in die wir die Äpfel und Birnen einklaubten, in dem wir mit einer Hand einen Sack daraus formten. Wenn dann der Sack nicht hielt oder versehentlich losgelassen wurde und alles fiel zu Boden, sagte meine Großmutter: "Oje, hiaz sein ålle owipudlt...!" Oder wenn die angefüllten Pressobstsäcke auf den Anhänger geleert wurden, "pudelten" sie auch dort hinein.
Das "Pudeln" setzt also rundliche Gegenstände, wie Äpfel, Birnen und Nüsse, voraus und geht mit einem bestimmten Geräusch einher. Es hat die Bedeutung von schütten, etwas fallen lassen, das dann herumkullert.
"Budeln" lässt sich folgermaßen herleiten:
Indogermanisch:
*beu- (2), *bū̆-, *bʰeū̆-, *bʰū̆- (blasen, schwellen) -> etwas Angefülltes
Germanisch:
*būdila-, *būdilaz ( st. M. (a): nhd. Beutel (M.) (1); ne. pouch (N.); RB.: afries., as., ahd.; E.: s. idg. *beu- (2), *bu-, *bʰeū̆-, *bʰū̆-, V., blasen, schwellen, Pokorny 98; W.: afries. būdel 1, st. M. (a), Beutel (M.) (1), Tasche; saterl. bul; afries. bēdel 1?, st. M. (a), Beutel (M.) (1); as. būdil 1, st. M. (a), Beutel (M.) (1); mnd. būdel, M., Beutel, Tasche; ahd. būtil 12, st. M. (a), Beutel (M.) (1), Geldbeutel, Börse (F.) (1); mhd. biutel, st. M., st. N., Beutel (M.) (1), Beutelsieb, Tasche; nhd. Beutel, M., Beutel (M.) (1), angehängte Tasche, DW 1, 1750; L.: Falk/Torp 275, EWAhd 2, 478, Kluge s. u. Beutel)
Das heißt, bereits als zu der Zeit, als noch eine gemeinsame germanische Sprache gesprochen wurde (1000-500 v. Chr. soll das Germanische entstanden sein), war die Bedeutung des Wortes, das wir heute noch verwenden, bereits festgelegt.
Im Althochdeutschen hieß es bereits
būtil (Beutel, Geldbeutel, Börse)
und im Altfriesischen
būdel ebenfalls für Beutel, Tasche.
Im Niederdeutsche Jahrbuch 1918 bis1920 ist der/die Budel der Beutel:
budel = Beutel
budelbratzen = Beutelspangen
budelsnidere = Taschendieb (der Aufschneider der Budel)
vrouwenbudel = Frauenbeutel (Handtasche?)
Dass die Budelmutter ihre Schätze in ihrem Beutel hat, den sie vielleicht sogar wie wir früher beim Obstklauben aus ihren Gewändern formte, oder sonst einen Beutel mit sich trug, ist naheliegend. Auch das Wort "Butte", die die Budelmuada mancherorts mit sich trägt, stammt vom selben germansichen Wort *būdila(z).
Natürlich muss es dazu auch ein Verb geben – pudeln. Dass das B bei der Budelmuada manchmal hart oder weich geschrieben wird, hängt mit den Lautverschiebungen, aber auch regionalen Unterschieden zusammen. Beispielsweise wurde auch der Berg früher perc und dann perg geschrieben:
G: /*bʰ/→/*b/
V: /*p/→/*b/ 3 /*b/→/p/ dt. Berg → zimbr. Perg
Mutter/Muatta/Muada ist selbsterklärend (von indogermanisch *mātér, *meh₂tèr, *méh₂tōr).
Im Burgenland wird die Budelmuada oft auch Budelmoam oder Budlnandl genannt:
Die Maskenschmiede Koller bemüht sich um die Aufrechterhaltung alter Brauche in Wolfau (Quelle: FB Maskenschmiede Koller)
Die Moam kommt von der Muhme, die eine ältere deutsche Verwandtschaftsbezeichnung ist und zumeist Tante (vor allem Mutterschwester) oder Cousine bedeutet, kann aber auch allgemeine Nähe bezeichnen.
mā̆mā, *mammā Mutter (F.) (1); ne. mother (F.); RB.: Pokorny 694; Hw.: s. *mā- (3); E.: s. *mā- (3); W.: gr. μάμμη (mámmē), μαμμία (mammía), F., Mutter (F.) (1), Großmutter; gr. μάμμα (mámma), F. (Vok.), Mama; lat. mamma, F., Mutterbrust; ae. mamme, sw. F. (n), Brustwarze; lat. mamma, F., Mutterbrust; ahd.? mamma* 1, sw. F. (n), Brust, säugende Brust; nhd. (ält.) Mamme, F., Brust, Mutterbrust, Euter, DW 12, 1519; germ. *mōmō-, *mōmōn, sw. F. (n), Mama, Mutter (F.) (1), Muhme; an. mōna, sw. F. (n), Mutter (F.) (1); germ. *mōmō-, *mōmōn, sw. F. (n), Mama, Mutter (F.) (1), Muhme; afries. mōie 1?, sw. F. (n), Muhme; germ. *mōmō-, *mōmōn, sw. F. (n), Mama, Mutter (F.) (1), Muhme; as. moma 1, st. F. (ō)?, sw. F. (n)?, Muhme; germ. *mōmō-, *mōmōn, sw. F. (n), Mama, Mutter (F.) (1), Muhme; ahd. muoma 16, sw. F. (n), Muhme, Tante, Schwester der Mutter; mhd. muome, sw. F., „Muhme“, Mutterschwester, weibliche Verwandte überhaupt; nhd. Muhme, F., „Muhme“, weibliche Seitenverwandte, DW 12, 2644
(Die Amme hat eine eigene Herleitung *amma indogermansich.)
Nandl ist eine geläufiger Kosename für Anna. Doch steckt noch etwas mehr dahinter:
*nana (indogermanisch) bedeutet Mutter, Tante, Amme. Das Wort ist ein gemeinsames Wort für Mutter, Tante und Amme, also die ersten Frauen, die ein Kleinkind beaufsichtigen. Da es so leicht für ein kleines Kind zu sagen ist, ist es auch seit Urzeiten gebräuchlich. Nana und Mama sind unbewusst von Babys gelallte Wörter.
Nandl ist eine Verkleinerungsform dieses Wortes, also Muatterl, Mütterchen. So werden gerne alte Frauen bezeichnet.
Ein Sonderfall im Burgenland ist die Hodinandl im Burgenland, deren Name von der Hudel, die auch die Berigl im Salzkammergut tragen, kommt (dazu mehr im Beitrag "Glöckeln" und "Berigln"). Die Hudel hieß auf fränkisch Hodel, und zur fränkischen Zeit gab es im Gebiet der nördlichen Oststeiermark und des angrenzenden Burgendlands und Niederösterreichs die ersten deutschen Siedler aus dem Fränkischen Reich. Karl der Große und sein Sohn Ludwig der Fromme trieben die Ostbesiedelung des Reiches voran, und so wurden von dem ehemals königlichen Besitz bei Vuitinesperch jene 100 Hufen dem Mosogouuo für treue Dienste gegeben, die zwischen dem Masenbergstock, dem Wechselstock und den Fischbacher Alpen (Vorauer Becken) liegen und heute den Kern des Jogllandes bilden.
In der Oststeiermark in Fladnitz wird die Budlmuada "Perschtlmuada" genannt und wird damit namentlich direkt mit der Frau Perchta gesetzt.
Jedenfalls ist bei der Budelmuada das Mütterliche und Gutmütige stark betont.
Was steckt hinter dem "Einipudeln" und "Ausklopfen"?
Dass die Budelmuada alle vier Ecken des Raumes ausklopft, entspricht der Symbolik der vier Ecken des Tisches, welche wohl die vier Himmelsrichtungen andeuten und damit den gesamten Umkreis, schreibt Leopold Schmidt in seiem Beitrag "Zu den Berchtengestalten des Burgenlandes". Die bösen Geister und der Winter sollen damit ausgetrieben werden, und Fruchtbarkeit und Glück sollen Einzug halten.
Auch in Ungarn wirft der Hausherr vor oder während des Abendessens zu Weihnachten Nüsse in die vier Ecken des Zimmers als Opfer oder Abwehr oder um Reichtum und von allen Sachen genug zu haben. Im südlichen Burgenland war es nach der Mitteilung von Käroly Gaal bis gegen 1900, im Pinkatal sogar bis 1925 üblich, daß Männer in der Kirche während der Weihnachtsmette Nüsse warfen. Nur Männer durften das. Die Geistlichkeit schaffte das dann ab. Natürlich gibt es die Symbolik der vier Himmelsrichtungen, u. a. wenn das Haus beim Räuchern in Österreich umkreist wird. In Niederösterreich z. B. wird da eigens an den vier Ecken des Hauses nach außen hinaus geräuchert. Beim „Hereinsäen“ von Nüssen und Äpfeln in die Stube am Altjahrsabend in der Gottschee achtete man nicht auf eine besondere Richtung der Würfe. Das wäre beim Werfen durch einen Türspalt auch kaum möglich. Das Werfen glich sichtlich dem verstreuenden Auswerfen wie beim Säen auf dem Acker.
Das Hereinwerfen von Gegenständen möglichst ungesehen findet sich auch als Abdreschbrauch in verschiedenen Teilen Ö sterreichs (besonders in Oberösterreich und Niederösterreich), aber auch bis Oldenburg. Es sind Symbole, die heute Spottbedeutung haben, einst aber vielleicht ähnlich segenbringend waren wie die Nüsse der Mittwinterfrau. Sogar der Name des Budelns kommt dort vor. Das Ende des Dreschens war gewöhnlich auch um die W eihnachtszeit.
Früher ist die Budelmuada auch am Christtagmorgen und Neujahr erschienen. Eine vereinzelte Angabe aus dem nördlichen Niederösterreich berichtet, daß in Waldenstein, Bezirk Gmünd, vor 1890 vom „Christkind“ Äpfel und Nüsse bei der Türe hereingerollt wurden. Auch Schweizer „Kläuse“ warfen oft ihre Gaben, Nüsse, Äpfel usw., durch einen Türspalt ins Zimmer. Die geheimnisvolle Art, daß Gaben ins Zimmer geworfen werden, ohne daß man den Spender sieht, spiegelt sich auch in der schwedischen „Julklapp-Sitte“ wider.
Eine Verwandtschaft des „Hereinbudelns“ der Gaben bei der Tür mit dem nordischen „Julklapp“ könnte Leopold Schmidt nach bestehen. Beim Julklapp, der besonders in Schweden beliebt ist, wird am Heiligen Abend und in der Zeit drumherum an die Tür oder ans Fenster geklopft ("klapp"), das Geschenk hineingeworfen (die Türen und Fenster waren früher nicht immer versperrt) und der Gabenspender ist schnell wieder verschwunden, sodass er unerkannt blieb. Beschrieben wird der "Julklapp" seit dem 17. Jahrhundert. Davor brache der Julbock (Weihnachtsbock) die Geschenke. Auch heute noch werden in Schweden am Heiligen Abend die Türen und Fenster offengelassen, damit die Geschenke hereinpudeln können. Scherzhaft wurde oft auch nur eine gebundene Strohfigur oder ein Holzscheitl mit einem angehefteten Spruch oder Gedicht in die Stube geworden, es musste dann erraten werden, von wem das "Geschenk" kam.
Julklapp, das Holzscheit blieb
Das heimliche Einwerfen der Obstgaben durch die Budelgestalten ist Schmidt nach ein ausgesprochener Segensbrauch, der den Gesamtverlauf des Fruchtbarkeitsjahres bestimmt, wie die Budelmutter das „Glück“, nämlich den Hühnersegen und offenbar in tieferer Schicht auch den Kindersegen versichert. Sie garantiert für dieses nächste Jahr, das mit ihrem Kommen beginnt, Glück und Fruchtbarkeit. Die Bräuche der Budelgestalten sind von großer Intimität. Es handelt sich um keine Aufführungen wie die der Perchtenumzüge in Westösterreich. Es kann nur in seltenen Fällen von einer Maskierung gesprochen werden: Meist ist es nur eine Vermummung, ein Unkenntlichmachen. Diese weibliche Gestalt wird fast immer von Frauen gespielt, unter Umständen von den allernächsten im Familienkreis, manchmal von etwas Fernerstehenden, die dann mehrere Häuser des Dorfes betreuen.
In "Lutzelfrau und Pudelmutter Ein Beitrag zur Sagenkunde des Burgenlandes" von Leopold Kretzenbacher ist Folgendes in einem Bericht aus Pöllau in der Oststeiermark über die Budelmuada zu lesen:
„Wie abends vor Nikolai mit dem Barthel der hl. Nikolaus mitkommt, und in der Nacht braven Kindern schöne und gute Sachen einlegt in die Teller und Schuhe, die man znm Fenster hinausgestellt hat, so kommt am Abend vor hl. Dreikönigen die Puddelmutter, eine gar wilde Gestalt, dick und zottig und das Gewand um die Mitte m it einem Stricke hinaufgehalten. In ihrem Fürtuch hat sie Nüsse, fragt die Kinder aus, ob sie beten und den Katechismus kennen, laßt dann ihre Nüsse aus der Schürze auf den Flötz einpudeln und schüttet sie auf den Zimmerboden.“
Weiters:
"Im burgenländisch-nordoststeirischen Grenzraum von Hartberg fährt diese Dame gar nobel mit einem Gespann zur Kinderbefragung vor: Die Pudlmuatta erscheint am Vorabend des Hl. Dreikönigsfestes. Sie teilt den braven Kindern Früchte wie Äpfel, Nüsse etc. aus, den schlimmen aber nur Kartoffel, Rüben und Ruten. Man sagt vor der Türe stehe ihr Gespann (Kobelwagen mit Ziegengespann)."
Der Kobelwagen war das häufigste Reisegefährt für Frauen im Mittelalter
Früher erschien die Budelmuada auch ohne ihr ursprünglich schreckhaftes Aussehen. Sie erschien dann als „altes, weiß gekleidetes Mütterchen“ und vermochte in solcher Gestalt im Dreiländerbereich (Steiermark, Burgenland, Niederösterreich) sogar am Christtagmorgen unter dem Namen „Pudlmutter“ „als altes, aber rüstiges Weib“ die Funktion des Christkindes zu erfüllen.
Karl Weinhold nennt die Pudelmutter (Budlmuatta) eine „W eihnachtsmaske und beschreibt auch den Vorgang der Weihnachtsbescherung durch sie:
Sie erscheint mit einer Kraxe auf dem Rücken und einer Rute in der Hand in Häusern, wo Kinder sind. Sie tritt langsam ein und fragt den Hausvater: "Na, wo is ’s schlimme Kind? wer duad nit gern bötn?" Darauf beten alle Kinder laut und die Pudelmutter spricht zufrieden: "Schau, schau, halgi Nacht, bravi Leut, guadi Christen! Bin zufrieden." Sie verteilt, Nüsse, Äpfel, Birnen, auch kleines Geld, und verläßt, alle segnend, das Haus“.
Weinhold fügt noch die wichtigen Bemerkungen hinzu:
„Die Pudelmutter ist aber auch eine Benennung der unsichtbaren P e r ch t e. Aus einem Hause, das zur heiligen Zeit unsauber gehalten wird, verschwinden die Kinder. Unsichtbar reicht sie Spindeln durch das Fenster zum Überspinnen.“
Darin zeigt sich Spinnstubenverantwortlichkeit der Budelmuada wie bei der Frau Percht, die peinlich genau darauf achtet, dass bis Weihnachten der ganze Flachs weggesponnen war und überall Ordnung herrschte. Sonst konnte sie sehr böse und ungemütlich werden!
V.l.n.r.: Spinnrad aus dem Freilichtmuseum Stübing, isländische Darstellung eines Spinnrads, Haarstube im Freilichtmuseum Vorau
"Wesentlich bleibt",
schreibt Leopold Schmidt über die Berchtengestalten,
"daß ihre alte Hüllenmaskierung samt ihrem bedeutungsschweren Wandel zwischen Schwarz- und Weißverhüllung beibehalten wurde. Die stummen, geschenkebringenden Frauengestalten, auch von Frauen dargestellt, haben auf diese schlichte Weise sehr lange Zeiträume durchwandert und überlebt."
Diese Zweigesichtigkeit ist typisch für die Frau Perchta, die einmal als dunkle, bestrafende und hässliche Frau und dann wieder als weiße, helle und gutmütige Gestalt auftritt, wie auch die Lutzl im Burgenland und die Budelmuada Ähnlichkeiten und gleichzeitig Ambivalenzen aufweisen.
Doppelgeschichtigkeit der Percht, hier Gasteiner Perchten
Belege für die Budelmuada
1853 schrieb Karl Weinhold, dass die Budelmuada für Niederösterreich und für Ost- und Untersteiermark schon seit einem vollen Jahrhundert geläufig ist.
„[…] die ,Budelfrau‘ oder ,Pudelmutter‘ von Nieder-, Oberösterreich und Steiermark ist eine von einem Mann dargestellte Frauensperson.“
(Friedrich Johann Fischer, Masken und rituelle Androgynie in Salzburg im 17. und 18. Jahrhundert, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Band 69, Wien 1966)
Irene Thirring-Waisbecker berichtete 1896 aus Ödenburg:
"Am 6. Dezember werden die Kinder oft von einem vermummten Nikolaus erschreckt, der ihnen aber selten etwas bringt; dafür 'pudelt' ihnen die Lutzelfrau oder Pudelfrau am 13. Dezember (Lucia) allerlei Süßigkeiten oder Obst bei der Tür herein."
Man muss natürlich dazu sagen, dass es davor kaum Brauchforschung und auch kein ausgeprägtes Schrifttum in der Bevölkerung gab. Daher sind Belege schwer zu finden.
Während die erste Erwähnung von Perchta um 1200 erscheint, wird das Wort "Perchten" erst Jahrhunderte später verwendet. Im Jahr 1468 erscheint ein Hinweis auf ihr Gefolge, aber die Mitglieder werden weder Perchten genannt, noch ähneln sie explizit Perchten, wie wir sie heute betrachten.
Frau Perchta in verschiedenen Darstellungen
Die Originale waren aber immer – und sind es noch – im Epizentrum der Budelmuada, dem Joglland, unterwegs!
Kinder aus Wenigzell als Budelmuada verkleidet
*https://www.servusmarktplatz.com/p/Murtaler-R%C3%A4ucherpfanne-IHS/SM121003/?gclid=Cj0KCQiA5NSdBhDfARIsALzs2EDJmSNvB_rS0gjRglr-i9XY-6fN6y7krJ42_sHJkzaSB9Y5AtCHjEoaAnPwEALw_wcB
Weitere Quellen:
Leopold Kretzenbacher (1951): Lutzelfrau und Pudelmutter, Ein Beitrag zur Sagenkunde des Burgenlandes, Burgenländische Heimatblätter, Graz.
Leopold Schmidt (1951): Berchtengestalten im Burgenland (Mit einer Verbreitungskarte), Burgenländische Heimatblätter, Wien.
Leopold Schmidt (1952): Zu den Berchtengestalten des Burgenlandes Materialnachlese, Motivbeziehungen, Problemvorschau, Burgenländische Heimatblätter, 1. Teil, Wien.
Leopold Schmidt (1952): Zu den Berchtengestalten des Burgenlandes Materialnachlese, Motivbeziehungen, Problemvorschau, Burgenländische Heimatblätter, 2. Teil, Wien.
Comments